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Anmerkung
Nachfolgender Aufsatz wurde
im August 1844 der Königlich Württembergischen Oberkirchenbehörde auf
deren Verlangen «in der Eigenschaft einer vertraulichen Mitteilung»
übergeben, kam aber ohne Wissen des Unterzeichneten durch Abschriften in
Umlauf.
Um die letzteren zu
verdrängen, wurde der Aufsatz nach sechs Jahren lithographiert, da er
vielfältig verbessert erscheint. Indessen wünscht der Unterzeichnete
immer noch nicht weitere Verbreitung des Aufsatzes und bittet daher
jeden Leser um freundliche Berücksichtigung seines wohlüberlegten Wunsches.
Joh. Christoph Blumhardt
Vorwort
(An das Königliche
Konsistorium.)
Indem ich mitfolgenden
Aufsatz einer hochpreislichen Oberkirchenbehörde übergebe, fühle ich mich zu
der Erklärung gedrungen, dass ich noch gegen niemand so kühn und
unumwunden über meine Erfahrungen mich ausgesprochen habe. Ich werde mit
verschiedenen Augen selbst von meinen besten Freunden angesehen, und eben
letztere haben mich in die peinliche Lage versetzt, gegen sie ganz schweigen
zu müssen, weil es ist, als ob sie eine Gefahr fürchteten, wenn sie nur auch
davon hörten, wiewohl ich ihnen auch dafür Dank schuldig bin, dass sie
fortgehend während der Zeit meines Kampfes für mich zitterten. War daher bei
weitem das meiste bisher Geheimnis geblieben, das ich in meiner Brust bis
ins Grab unenthüllt bewahren könnte, so stand es mir völlig frei, für diesen
Aufsatz beliebige Auswahl zu treffen; und es wäre mir eine Kleinigkeit
gewesen, eine Darstellung zu geben, die sich ohne allen Anstoss hätte können
von jedermann lesen lassen. Das konnte ich aber nicht über mich bringen; und
obwohl ich fast bei jedem Abschnitt zittern wollte, ob es nicht übereilt und
unvorsichtig wäre, alles so bar herauszusagen, so lautete es doch immer
wieder in mir: «Heraus damit!» So sei es denn gewagt, und ich tue es auf
den Namen Jesu hin, der Sieger ist. Eben hier ehrlich und offen zu sein,
achte ich nicht nur als Schuldigkeit gegen meine hochverehrte
Oberkirchenbehörde, welche alles Recht auf meine Offenheit verdient hat,
sondern auch gegen meinen Herrn Jesum, dessen Sache allein es ist, die ich
zu verfechten hatte. Indem ich aber hier zum ersten Male mich ohne Rückhalt
ausspreche, liegt mir freilich der Wunsch nahe, es möchten diese
Mitteilungen mehr als Privatmitteilungen angesehen werden, als lege ein
vertrauter Freund seine Geheimnisse in den Schoss seiner Freunde nieder. Ich
habe nicht einmal eine leserliche Abschrift von dem Aufsatze ;
und schwerlich werde ich ihn
sobald jemandem vorzulesen mich bewogen fühlen. Um so mehr möchte meine
Bitte, wenigstens vorderhand Öffentlichkeit zu verhüten, Rücksicht
verdienen. Ich habe nur zweimal Umständliches, jedoch nur Äusserliches
erzählt, einmal in Calw, das andere Mal in Vaihingen vor freundlich
scheinenden Kollegen, und wenigstens an letzterem Orte die Finger verbram1t.
Dass ich aber sonst das Licht nicht scheue, beweist dieser Aufsatz.
Eine zweite Bitte möchte
auch verzeihlich sein: Es mögen die verehrten Leser öfters das Ganze lesen,
ehe sie ein Urteil fällen. Indessen vertraue ich dem, der die Herzen in
seiner Gewalt hat; und wie auch die Urteile ausfallen mögen, so bleibt mir
die Beruhigung, ohne Hehl die Wahrheit gesprochen zu haben, und obendrein
die felsenfeste Gewissheit:
„Jesus
ist Sieger“.
Im 1.
Teil beginnt Pfarrer Joh. Christoph Blumhardt den Erlebnis-Bericht wie
folgt:
„...Die Sache wurde
Ortsgespräch..., verbreitete sich in der ganzen Umgebung...“
Genannte Gottliebin Dittus
ist ledig, ohne Vermögen, 28 Jahre alt, und bewohnt seit vier Jahren
gemeinschaftlich mit drei gleichfalls ledigen Geschwistern, unter welchen
ein halbblinder Bruder ist, sämtlich älter als sie, ein geringes
Parterrelogis in Möttlingen. Ihrem glücklichen Talente und der treuen
Erziehung christlicher Eltern verdankte sie es, dass sie auch bei minder gut
bestellter Schule gute Kenntnisse erhielt; und der Unterricht, den sie durch
meinen Vorgänger, Pfarrer Dr. Barth, jetzt in Calw wohnhaft, erhielt,
brachte eine gute christliche Unterlage in ihr Herz. Nach der Schulzeit
hatte sie wohl auch anfangs Hang zur Welt, stand aber stets in
unbescholtenem Rufe. Sie diente an verschiedenen Orten und steht noch jetzt
in ihren Diensthäusern, namentlich in Weil der Stadt, wo sie acht Jahre war,
um ihrer bewiesenen Treue willen im besten Andenken.
Durch eine eigentümliche
Krankheit, die Nierenkrankheit, die sie in den Jahren 1836 bis 1838
durchmachte, gerade vor meiner Anstellung allhier, die im Juli 1838
erfolgte, und bei welcher durch die Verwendung des Pfarrers Dr. Barth und
Vikars Stotz viele und angesehene Arzte sich an ihr versuchten, wurde ihr
Christensinn entschiedener und ernster. Sie blieb seitdem hier und führte
mit ihren Geschwistern ein stilles, zurückgezogenes Leben, um ihrer
gediegenen christlichen Erkenntnis willen geachtet und geliebt. Es blieben
ihr von der Krankheit manche körperlichen Gebrechen, die meist Bezug auf den
Unterleib hatten, dass sie z. B. das Wasser nie ohne ein vom Arzt erhaltenes
Instrument lösen konnte, neben dem, dass sie infolge der Krankheit einen
kürzeren Fuss, eine hohe Seite, Magenübel usw. behielt.
Schon mit dem ersten
Eintritt in obiges Logis, das sie im Februar 1840 bezog, glaubte Gottliebin,
wie sie später erzählte, eine eigentümliche Einwirkung auf sich zu
verspüren, als sähe und hörte sie manches Unheimliche im Haus. Letzteres
entging auch ihren Geschwistern nicht. Gleich am ersten Tage, als sie zu
Tisch betete: Komm, Herr Jesu usw ., bekam sie einen Anfall, bei dem sie
bewusstlos zu Boden fiel. Was man hörte, war ein häufig wiederkehrendes,
bisweilen die ganze Nacht fortdauerndes Gepolter und Geschlürfe in der
Kammer, in Stube und Küche, das die armen Geschwister oft sehr ängstigte,
auch die oberen Hausleute beunruhigte, wiewohl alle sich scheuten, irgend
etwas davon kundwerden zu lassen. Gottliebin erfuhr noch besondere Dinge an
sich, dass ihr z. B. bei Nacht gewaltsam die Hände übereinander gelegt
wurden, dass sie Gestalten, Lichtlein usw. erblickte; ja aus ihren
Erzählungen geht hervor, dass die späteren Besitzungen schon in jener Zeit
ihren Anfang bei ihr genommen hatten. Sie hatte von jener Zeit an etwas
Widerliches und Unerklärliches in ihrem Benehmen und eine zurückstossende
Art, die vielfältig missfiel; doch liess es jedermann so gehen, da nach der
armen Waisenfamilie weiter niemand viel fragte und Gottliebin mit ihren
besonderen Erfahrungen höchst verschwiegen war. Erst im Herbst 1841 kam
letztere, da ihre nächtlichen Anfechtungen und Plagen einen immer höheren
Grad erreichten, zu mir ins Pfarrhaus, sprach aber nur in allgemeinen
Ausdrücken von ihren Anfechtungen, so dass ich darüber nicht recht klar
wurde, ihr auch wenig Befriedigendes sagen konnte. Indessen bekannte sie aus
freien Stücken einiges aus ihrem früheren Leben, indem sie durch dieses
Bekenntnis von den erwähnten Anfechtungen frei zu werden hoffte. Im Dezember
jenes Jahres bis in den Februar 1842 hinein litt sie an der Gesichtsrose und
lag sehr gefährlich krank. In der ganzen Krankheit aber mochte ich sie nicht
viel besuchen, weil mich ihr Benehmen abstiess, indem sie, wenn sie mich sah,
beiseite blickte, meinen Gruss nicht erwiderte, wenn ich betete, die vorher
gefalteten Hände auseinander legte, überhaupt meinen Worten gar keine
Aufmerksamkeit schenkte, ja fast besinnungslos schien, was sie doch vor und
nach meinem Besuche nicht war. Ich glaubte sie damals eigensinnig,
selbstgerecht, geistlich stolz, wofür man sie auch anderwärts zu halten
anfing, und blieb lieber weg, als mich lauter Verlegenheiten auszusetzen.
Indessen genoss sie treue ärztliche Behandlung, und am Ende erholte sie sich
wieder .
Endlich im April 1842 erfuhr
ich zum ersten Male durch zwei ihrer Verwandten, die mich um Rat fragen
wollten, etwas Näheres von dem Spuk im Hause, der bereits nicht mehr
verschwiegen werden konnte, weil das Gepolter der ganzen Nachbarschaft
bemerklich wurde. Gottliebin sah damals ganz besonders häufig die Gestalt
eines zwei Jahre vorher verstorbenen Weibes von hier mit einem toten Kinde
auf den Armen. Dieses Weib, erzählte sie (den Namen verschwieg sie
vorsichtig und sagte ihn nur mir später), stehe immer auf einer gewissen
Stelle vor ihrem Bett, bewege sich zuweilen zu ihr her und wiederholte oft
die Worte : «Ich will eben Ruhe haben», oder: «Gib mir ein Papier, so komme
ich nicht wieder» usw. Nun wurde ich gefragt, ob man ein Näheres bei der
Gestalt erfragen dürfe. Mein Rat war, Gottliebin dürfe sich durchaus in kein
Gespräch mit der Gestalt einlassen, um so mehr, da man nicht wisse, wie viel
Selbsttäuschung mit unterlaufe. Es sei jedenfalls gewiss, dass man in
entsetzliche Verirrungen und Torheiten geraten könne, wenn man mit der
Geisterwelt sich einlasse; sie solle ernstlich und gläubig beten, so werde
die Sache nach und nach von selbst aufhören. Eine Freundin wagte es auf
meine Bitte (denn eine der Schwestern diente damals auswärts, auch der
Bruder war selten da, und die andere Schwester konnte nicht genügen), bei
ihr zu schlafen, um ihr Gemüt womöglich von jenen Dingen abzulenken. Das
Gepolter wurde auch von dieser gehört, und endlich entdeckten sie, durch
einen Lichtschimmer geleitet, unter einem Bett an der Oberschwelle der
Kammertüre einen russigen halben Bogen Papier, der überschrieben, aber um des
darauf geschmierten Russes willen unleserlich war. Daneben fanden sie drei
Kronentaler und etliche Sechsbätzner, je besonders in Papiere eingewickelt,
die inwendig gleichfalls mit Russ überzogen waren. Jene Schrift schien ein
Rezept vielleicht von geheimer Kunst zu sein. Von da an war es etwa 14 Tage
ruhig im Hause. Allein das Gepolter fing wieder an; und ein auf dem Boden
hinter dem Ofen flackerndes Licht deckte allerlei Sachen auf, die da
vergraben waren ( denn unmittelbar unter dem Stubenboden ist die Erde). Man
fand eine Schachtel mit Kölbchen, Kreide, Salz, Knochen usw ., ferner mit
kleinen, vieleckigen Papierchen, mit Pülverchen, auch anderen Papieren, in
welche je drei bis vier Sechser eingewickelt waren, alles durch Russ aufs hässlichste entstellt. Was einer Untersuchung unterworfen werden konnte, wie
die Pülverchen, wurde später vom Oberamtsarzt und einem Apotheker in Calw
chemisch untersucht. Beide aber fanden nichts Besonderes darin, und alles
Entdeckte ausser dem Geld verbrannte ich in der Folge, in der Meinung, dass
der wunderlichen Sache dadurch ein Ende gemacht werden könnte, was aber
keineswegs der Fall war .
Unterdessen nahm das
Gepolter so überhand, dass alle Leute dadurch aufgeregt wurden. Denn es liess
sich am hellen Tage wie in der Nacht hören, oft, wenn niemand in der Stube
war, da Vorbeigehende dadurch erschreckt wurden, am meisten, wenn Gottliebin
drinnen war, indem es vor ihr und hinter ihr selbst auf dem Tische, diesen
gewaltsam erschütternd, in Gegenwart anderer niederprallte. Der Arzt, Dr .
Späth in Merklingen, der sie
stets mit Teilnahme behandelte, und dem sie allein bisher manches im
Vertrauen mitgeteilt hatte, blieb zweimal in der Stube über Nacht nebst
anderen neugierigen Personen; und was er erfuhr, übertraf seine Erwartungen.
Die Sache wurde nicht nur Ortsgespräch, sondern verbreitete sich in der
ganzen Umgegend, so dass selbst Reisende die Neugierde hierher trieb. Endlich
entschloss ich mich, solch grosses Aufsehen fürchtend, mit dem Schultheissen,
dem Teppichfabrikanten Kraushaar, einem verständigen, nüchternen und
gottesfürchtigen Mann, und etlichen Gemeinderäten, zusammen sechs bis acht
Personen, nach einer geheimen Verabredung eine nächtliche Untersuchung im
Hause vorzunehmen. Wir verteilten uns je zwei in und um das Haus und kamen
unerwartet gegen 10 Uhr abends. Ein junger, verheirateter Mann, Mose Stanger,
ein Verwandter der Gottliebin, durch christliche Erkenntnis ausgezeichnet
und auch sonst im besten Rufe stehend, später meine treueste Stütze, war vor
uns dahin gegangen. Schon bei meinem Eintritt in die Stube kamen mir zwei
gewaltige Schlagtöne aus der Kammer entgegen. In kurzer Zeit erfolgten ihrer
mehrere; und Töne, Schläge, Klopfen der verschiedensten Art wurden gehört,
meist in der Kammer, wo Gottliebin angekleidet auf dem Bett lag. Die anderen
Wächter draussen und im oberen Stock hörten alles und sammelten sich nach
einiger Zeit im unteren Logis, weil sie sich davon überzeugten, dass alles,
was sie hörten, hier seinen Grund haben müsse. Der Tumult schien grösser zu
werden, besonders als ich einen geistlichen Liedervers zu singen angab und
einige Worte betete. In drei Stunden wurden gegen 25 Schläge auf eine
gewisse Stelle in der Kammer vernommen, die so gewaltig waren, dass der Stuhl
daselbst aufsprang, die Fenster klirrten und Sand von der Oberdecke
niederfiel und fernere Ortsbewohner an ein Neujahrsschiessen erinnert wurden.
Daneben liessen sich schwächere und stärkere Töne, oft wie ein Spiel mit den
Fingern, oder ein mehr oder weniger regelmässiges Umhertüpfeln vernehmen, und
man konnte dem Ton, der unter der Bettlade hauptsächlich zu entstehen
schien, mit der Hand nachfahren, ohne im geringsten etwas zu bemerken. Wir
versuchten es mit und ohne Licht, was keine Veränderung brachte, doch
erfolgten die stärksten Schläge in der Kammer nur, wenn wir alle in der
Stube waren, wobei aber einer unter der Türe deutlich die Stelle, worauf sie
fielen, unterscheiden konnte. Es wurde alles aufs genaueste untersucht, aber
ein Erklärungsgrund konnte auf keinerlei Weise gefunden werden. Endlich
gegen 1 Uhr, da wir gerade in der Stube waren, rief mich Gottliebin zu sich
und fragte, ob sie, wenn sie eine Gestalt sehe, sagen dürfe, wer es sei;
denn sie höre bereits ein Schlürfen. Das schlug ich rund ab; aber es war mir
des Untersuchens schon zu viel geworden, und ich wollte es nicht darauf
ankommen lassen, dass von so vielen Personen nun auch Unerklärliches gesehen
werde. Ich hiess sie daher aufstehen, hob die Untersuchung auf und sorgte
dafür, dass Gottliebin alsbald in einem anderen Hause Unterkunft fand. So
schieden wir vom Hause. Der halbsehende Bruder aber wollte nach unserem
Abschied noch manches gehört und gesehen haben. Merkwürdig aber ist, dass
gerade in jener Nacht die Unruhe am gesteigertsten war.
Teil 2: Es vergingen mehrere
Wochen, ehe das Geschrei in der Umgebung sich verlor...
Der folgende Tag war ein
Freitag, und in dem Gottesdienst dieses Tages erschien auch Gottliebin.
Eine halbe Stunde danach
entstand vor ihrem Hause ein ungeheurer Zusammenlauf, und ein Bote meldete
mir, dass sie in einer tiefen Ohnmacht liege und dem Tode nahe sei. Ich eilte
hin und fand sie ganz starr auf dem Bett liegend, die äussere Haut am Kopf
und an den Armen glühend und zitternd, sonst dem Ansehen nach am Ersticken.
Die Stube war gedrängt voll, und ein Arzt von einem Nachbarorte, der eben im
Dorfe war, war auch hergesprungen, versuchte etliches, sie zum Leben zu
bringen, ging aber bald kopfschüttelnd weg. Nach einer halben Stunde
erwachte sie, und ich vernahm im stillen von ihr, dass sie nach der Kirche in
der Kammer die Gestalt des Weibes mit dem toten Kinde gesehen habe, aber
alsbald bewusstlos umgefallen sei. Nachmittags wurde sodann an der Stelle,
auf welche die Schläge gefallen waren, nachgegraben, indem die Bodenbretter
unbefestigt über der Erde lagen. Es geschah durch vertraute Männer in meiner
Gegenwart. Als Mose Stanger mit der Hand die Stelle berührte, die man
vorzüglich suchte, sah man ein Flämmchen daselbst aufflackern, und Mose fuhr
zurück. Beim Nachforschen fand man hier zuerst etliche Papierchen, wie die
oben erwähnten, nebst Pülverchen und Geldpäckchen, endlich einen Topf, der
den Boden eines anderen zum Deckel hatte und kleine Gebeinchen, unter Erde
vermischt, enthielt. Die Gestalt mit dem toten Kinde hatte bereits die Sage
verbreitet, sie stelle eine Kindsmörderin vor, deren totes Kind man wohl im
Boden finden könne; und der Totengräber, der dabei war, wollte wirklich die
Gebeine, an denen sogar noch Fleisch zu sehen war, für Kindsbeinchen
erkennen. Um allem Unangenehmen vorzubeugen, packte ich alsbald das
Gefundene zusammen und fuhr damit in Begleitung des Schultheissen zum
Oberamtsarzt, Herrn Dr. Kaiser , nach Calw, dem wir alles offen erzählten,
der aber nach einiger Zeit die Gebeine für Vogelbeine erklärte.
So deutete alles bisher
Gefundene darauf hin, dass hier einmal eine gewisse Schwarzkunst müsse
wenigstens versucht worden sein, über welche jetzt Verstorbene in Unruhe
waren. Denn gerade Vögel, wie ich nun vernahm, und besonders Raben, werden
häufig vom Volke zu heimlichen Künsten auf abergläubische Weise benützt.
Es lag mir nun vor allem
daran, alles Aufsehen für immer zu unterdrücken. Ich verschaffte der
Gottliebin einen Ort bei einer ihrer Basen, später bei ihrem Vetter, dem
Vater des Mose, dem Gemeinderat Johann Georg Stanger, der zugleich ihr
Taufpate ist und eine zahlreiche Familie hat (es waren damals vier
erwachsene Töchter und zwei Söhne zu Hause), deren sämtliche Glieder
christlich gesinnt sind und jetzt sehr teilnehmend waren, daneben auch die
strengste Verschwiegenheit beobachteten. Zugleich begehrte ich von ihr, bis
auf weiteres möglichst ihr eigenes Haus nicht zu betreten, in das sie auch
wirklich erst in der Mitte des folgenden Jahres wieder einzog. Von der Sache
durfte kein besonderes Wesen mehr gemacht werden, und ich nahm mir vor, ganz
im stillen mit dem Schultheissen und einigen anderen verständigen Männern
bisweilen Besuche bei ihr zu machen, um zu sehen, was es werden wolle.
Besonderes Grauen hatte ich vor Erscheinungen des Somnambulismus, die so
häufig ein ärgerliches Aufsehen erregen und so wenig Gutes bisher geschafft
haben; und da immerhin ein geheimnisvolles und gefährliches Feld sich hier
eröffnete, so konnte ich nicht umhin, in meinen einsamen Gebeten die Sache
dem Herrn zu befehlen, ihn bittend, doch ja vor allen Torheiten und
Verirrungen, in welche man verwickelt zu werden versucht sein könnte, mich
und andere zu bewahren. Als sich die Sache ernstlicher entwickelte, hielt
ich besondere Gebete und Besprechungen auf meinem Zimmer mit dem
Schultheissen und Mose; und ich kann wohl sagen, dass hierdurch ein nüchterner
Sinn unter uns erhalten wurde, der allein ein glückliches Ende uns
versprechen konnte. Es vergingen indes mehrere Wochen, ehe das Geschrei in
der Umgegend sich verlor; und viele Fremde kamen, das Haus zu besuchen.
Manche wollten auch darin übernachten, um sich von der Wahrheit des in
Umlauf Gekommenen zu überzeugen. Allein das Haus wurde sorgfältig verwahrt,
was um so leichter geschehen konnte, als der Dorfschütze gegenüber wohnt;
und Anfragen bei mir, wie einmal von drei katholischen Geistlichen der
badischen Nachbarschaft, die etliche Stunden der Nacht in der Stube
zubringen wollten, wies ich aufs entschiedenste zurück. Allmählich wurde es
stiller; und alles Nachfolgende ist ausser Kenntnis der Gemeinde geblieben,
die zwar immer merkte, dass es noch nicht richtig sei, dass hie und da, doch
nur selten denn die Leute fürchteten sich -, etliche Glieder vor dem Hause
auflauerten, auch mich bisweilen sehr bemitleideten, im ganzen aber bis auf
den heutigen Tag nichts Gewisses und Zusammenhängendes wissen.
Das Gepolter in dem Hause
hörte erst zu Anfang dieses Jahres (1844) ganz auf und war namentlich an den
monatlichen Buss- und Bettagen unserer Kirche besonders heftig. Auch wurden
stets verschiedene Gestalten wahrgenommen, wie auch an der Wand
hinschleichende Lichtlein, was ich dahingestellt sein lasse, da ich selbst
niemals etwas gesehen habe.
Teil 3: Dämonisches hier im
Spiele
Oben erwähnte Untersuchung
fand am 3. Juni 1842 statt. Bald hörte ich, dass das Gepolter um die
Gottliebin auch in dem anderen Hause, das sie bewohnte, fortdaure, und dass
sie gewöhnlich, so oft man etwas hörte, bald darauf in heftige Konvulsionen
verfalle, die immer stärker und andauernder würden, so dass sie öfters kaum
fünf Minuten dazwischen hinein frei wäre. Ich besuchte sie als Seelsorger,
wobei sie erklärte, es schwebe etwas vor ihren Augen, das sie starr mache;
und wenn ich mit ihr betete, wurde sie bewusstlos und sank aufs Bett zurück.
Einmal sah ich sie in den Krämpfen, da eben der Arzt anwesend war.
Ihr ganzer Leib zitterte,
und jeder Muskel am Kopfe und an den Armen war in glühender Bewegung,
wiewohl sonst starr und steif. Dabei floss häufig Schaum aus dem Mund. So lag
sie schon mehrere Stunden da, und der Arzt, der nichts Ähnliches je erfahren
hatte, schien ratlos zu sein. Doch erwachte sie plötzlich, konnte sich
aufrichten, Wasser trinken; und kaum mochte man es glauben, dass sie die
nämliche Person wäre. So ging es noch einige Tage fort.
An einem Sonntagabend kam
ich wieder zu ihr, als mehrere Freundinnen anwesend waren, und sah
schweigend den schrecklichen Konvulsionen zu. Ich setzte mich etwas entfernt
nieder. Sie verdrehte die Arme, beugte den Kopf seitwärts und krümmte den
Leib hoch empor, und Schaum floss abermals aus dem Munde. Mir war es klar
geworden, dass etwas Dämonisches hier im Spiele sei, nach den
bisherigen Vorgängen; und ich empfand es schmerzlich, dass in einer so
schauderhaften Sache so gar kein Mittel und Rat solle zu finden sein. Bei
diesen Gedanken erfasste mich eine Art Ingrimm; ich sprang vor, ergriff ihre
starren Hände, zog ihre Finger gewaltsam, wie zum Beten, zusammen, rief ihr
in ihrem bewusstlosen Zustande ihren Namen laut ins Ohr und sagte: «Lege die
Hände zusammen und bete: Herr Jesu, hilf mir! Wir haben lange genug
gesehen, was der Teufel tut; nun wollen wir auch sehen, was Jesus vermag!
» Nach wenigen Augenblicken erwachte sie, sprach die betenden Worte nach,
und alle Krämpfe hörten auf, zum grossen Erstaunen der Anwesenden. Dies war
der entscheidende Zeitpunkt, der mich mit unwiderstehlicher Gewalt in die
Tätigkeit für die Sache hineinwarf. Ich hatte vorher auch nicht den
geringsten Gedanken daran gehabt; und auch jetzt leitete mich ein
unmittelbarer Drang, von dem ich den Eindruck noch so stark habe, dass eben
er später oft meine einzige Beruhigung war, weil er mich überzeugte, dass ich
nicht aus eigener Wahl und Vermessenheit eine Sache unternommen hätte, deren
schauerliche Entwicklungen ich mir damals unmöglich hatte vergegenwärtigen
können.
Nachdem sie wieder bei sich
war, sprach ich ihr Mut zu, betete noch etliche Worte und hinterliess beim
Weggehen den Auftrag, dass man mich rufen solle, wenn die Krämpfe
wiederkehrten. Nachts 10 Uhr desselben Tags kam eiligst ein Bote und sagte,
sie habe einen ruhigen Abend gehabt, bis eben jetzt, da die Krämpfe stärker
als je sie befallen hätten. Als ich zu ihr kam, schien die Wärterin in
Ohnmacht fallen zu wollen, da der Anblick über die Massen schauerlich war.
Ich versuchte alsbald obiges Verfahren, und der Erfolg war in wenigen
Augenblicken derselbe. Während ich indessen verzog, fiel sie plötzlich
wieder rückwärts aufs Bett. Sogleich liess ich sie die Worte ausrufen: «Herr
Jesu, hilf mir!» obwohl sie dieselben kaum herausbrachte; und so kam sie
wieder zu sich, ohne dass die Krämpfe ausbrachen. Allein mit jedem
Augenblicke wollte es sich wiederholen; und so dauerte es gegen drei Stunden
fort, bis sie ausrief :
« Jetzt ist es mir ganz
wohl! » Sie hatte nun die übrige Nacht und den ganzen folgenden Tag
Ruhe, bis wieder gegen 9 Uhr abends die Anfälle sich wiederholten.
Ich verweilte abermals,
diesmal, wie später fast immer, mit dem Schultheissen und Mose Stanger
etliche Stunden bei ihr, wobei es bereits sich zu erkennen gab, dass sich
etwas Feindseliges aus ihr gegen mich richtete. Sie bekam grell geöffnete
Augen, eine grässliche Miene, die nichts als Zorn und Wut aussprach, ballte
die Hände und machte gegen mich drohende Bewegungen. Sie hielt mir dann
wieder die offenen Hände dicht vor die Augen, als wollte sie mir rasch beide
Augen ausreissen usf. Ich blieb bei alle dem fest und unbeweglich, betete in
kurzen Worten meist nach biblischen Stellen und achtete keine Drohungen, die
auch so erfolglos waren, dass sie niemals, auch wenn sie noch so drohend auf
mich zufuhr, mich auch nur berührte. Am Ende ging alles damit vorüber, dass
sie zu wiederholten Malen mit grosser Gewalt die Arme auf das Bett
niederschlug, wobei es das Ansehen hatte, als ob eine geistige Macht durch
die Fingerspitzen ausströmte. Sie wollte noch nachher allerlei Gestalten vor
sich sehen, die sich erst nach und nach verloren. So ging es noch etliche
Male zu, mit Unterbrechungen von einem bis drei Tagen; und am Ende liess
diese Art von Konvulsionen ganz nach.
Schon wo11te ich gute
Hoffnungen fassen, als ich vernahm, man h öre wieder ein Klöpfeln wie mit
Fingern um die Gottliebin her; und dann bekomme sie plötzlich einen Schlag
auf die Brust und sinke zurück, auch sehe sie dieselbe weibliche Gestalt,
die sie in ihrem eigenen Logis gesehen hatte. Ihren Aussagen nach war das
eine (keinerlei Verwandte, ausser zwei nun auch verstorbenen Schwestern,
zurücklassend) zwei Jahre vorher verstorbene Witwe, die auf ihrem Totenbette
heftige Gewissensbisse bekommen, schwere Sünden mir bekannt und nur wenig
Ruhe vor dem Tode gefunden hatte. Als ich mit meinen gewöhnlichen Begleitern
(denn ohne bestimmte Augen- und Ohrenzeugen wollte ich niemals dort sein)
hinkam, hörte ich wirklich bald die unheimlichen Töne. Sie selbst lag im
Bett, war bei sich und fühlte keine Beschwerden. Plötzlich war's, als führe
es in sie, und ihr ganzer Leib geriet in Bewegung. Ich sprach sodann einige
Worte als Gebet und erwähnte dabei den Namen Jesu. Sogleich rollte sie die
Augen, schlug die Hände auseinander, und eine Stimme liess sich hören, die
man augenblicklich für eine fremde erkennen musste, nicht sowohl wegen des
Klanges, als wegen des Ausdrucks und der Haltung in der Rede. Es rief :
«Den Namen kann ich nicht
hören!" Alle schauderten zusammen. Ich hatte noch nie etwas der Art gehört
und wandte mich in der Stille zu Gott, er möge mir Weisheit und Vorsicht
schenken und namentlich vor unzeitiger Neugier mich bewahren. Endlich wagte
ich etliche Fragen, mit dem bestimmten Vorsatz, mich nur auf das
Notwendigste zu beschränken und auf meine Empfindung zu merken, wenn es etwa
zu viel wäre, zunächst mit Bezug auf jenes Weib, etwa so:
«Hast du denn keine Ruhe im
Grab?" - «Nein!" «Warum nicht?" - «Das ist meiner Taten Lohn." «Hast du
denn", fuhr ich fort, nur still voraussetzend, dass es jene Person sei, «mir
nicht alle Sünden gestanden?" - «Nein, ich habe zwei Kinder gemordet und im
Acker begraben!" - «Weisst du denn jetzt keine Hilfe mehr? Kannst du nicht
beten?" - «Beten kann ich nicht." - «Kennst du denn Jesum nicht, der Sünden
vergibt?" - «Den Namen kann ich nicht hören." «Bist du allein?" - «Nein!" -
«Wer ist denn bei dir?" Die Stimme antwortete zögernd, zuletzt rasch
herausfahrend: «Der Allerärgste!" So ging das Gespräch noch eine Weile fort,
und die Redende klagte sich auch der Zauberei an, um deren willen sie des
Teufels Gebundene sei. Schon siebenmal, sagte sie, sei sie ausgefahren,
jetzt gehe sie nicht mehr. Ich fragte sie, ob ich für sie beten dürfe, was
sie erst nach einigem Bedenken gestattete, und gab ihr endlich zu verstehen,
dass sie im Leibe der Gottliebin nicht bleiben könne und dürfe. Sie schien
wehmütig zu flehen, dann wieder trotzig zu werden; ich aber gebot ihr mit
ernster Stimme, auszufahren, jedoch nicht im Namen Jesu, was ich lange nicht
wagte, worauf sich schnell die Szene änderte, indem die Gottliebin die Hände
stark aufs Bett niederschlug. Damit schien die Besitzung vorüber zu sein.
Etliche Tage später
wiederholte sich die scheinbare Besitzung, wiewohl ich mich jetzt in kein
Gespräch mehr einliess. Bald war es, als führen auf die bezeichnete Weise
drei, dann sieben, endlich vierzehn Dämonen aus, wobei jedesmal das Gesicht
der Person sich veränderte und eine neue drohende Miene gegen mich annahm.
Auch mancherlei Drohworte wurden gegen mich ausgesprochen, die ich nicht
beachtete;
und die Anwesenden, selbst
der Schultheiss, bekamen manche Stösse und Faustschläge, die aber nie gegen
mich gewagt wurden, indem die Dämonen ausdrücklich bemerkten, dass sie mir
als dem Pfarrer nichts tun dürften, so gerne sie wollten. Hie und da raufte
sie sich die Haare, zerschlug sich die Brust, warf den Kopf an die Wand und
suchte auf allerlei Weise sich zu verletzen. Jedoch mit einfachen Worten
konnte ich jeder Bewegung gebieten, bis sie zuletzt ruhig blieb, worauf auch
dem Befehl des Ausfahrens Folge geIeistet wurde.
Indessen war es, als ob die
Szenen sich immer schrecklicher gestalteten, und als ob mein Einwirken die
Sache nur verschlimmerte. Was ich im Geist und Gemüt damals ausgestanden
habe, lässt sich mit keinen Worten beschreiben. Mein Drang, der Sache ein
Ende zu machen, wurde immer grösser, und obwohl ich jedesmal befriedigt
scheiden konnte, sofern ich fühlte, dass die dämonische Macht sich fügen
müsse, und sofern die Person jedesmal vollkommen recht war, so schien die
finstere Macht sich doch immer wieder zu verstärken und mich zuletzt in ein
grosses Labyrinth verstricken zu wollen, mir und meiner amtlichen Wirksamkeit
zum Schaden und Verderben. Alle Freunde rieten mir, zurückzutreten. Aber ich musste mit Schrecken daran denken, was aus der Person werden könnte, wenn ich
meine Hand von ihr abzöge, und wie sehr ich vor jedermann, wenn es übel
ginge, als «der Ursächer» dastehen müsste. Ich fühlte mich in einem Netze,
aus dem ich mich ohne Gefahr für mich und andere unmöglich durch blosses
Abtreten wieder herauswinden konnte. Zudem schämte ich mich vor mir selbst
und meinem Heilande, zu dem ich so viel betete, und dem ich so viel
vertraute, und der mir obendrein so viele Beweise seiner Hilfe gab - ich
gestehe es offen -, dem Teufel nachzugeben. Wer ist der Herr? musste ich mich
oft fragen, und im Vertrauen auf den, der Herr ist, biess es in mir immer
wieder:
Vorwärts! Es muss zu einem
guten Ziele führen, wenn es auch in die tiefste Tiefe hinuntergeht, es sei
denn, dass es nicht wahr wäre, dass Jesus der Schlange den Kopf zertreten bat.
Nach jenen 14 Dämonen
steigerte sich die Zahl schnell zu 175, dann zu 425. Eine nähere
Beschreibung von den einzelnen Auftritten kann ich nicht mehr geben, da
alles zu schnell und zu mannigfaltig aufeinander folgte, als dass ich
Einzelheiten sicher im Gedächtnis behalten konnte. Nach dem letzten dieser
Kämpfe trat auf etliche Tage Ruhe ein. Doch drängten sich des Nachts viele
Gestalten um das Bett der Person, nach ihrer Aussage; und auch ihre Wärterin
wollte um jene Zeit etliche Gestalten erblickt haben.
Ebenso geschah es, dass sie
sich in einer Nacht im Schlafe plötzlich von einer brennenden Hand am Hals
gefasst fühlte, welche alsbald grosse Brandwunden zurückliess. Bis die Wärterin
(ihre Tante), die im gleichen Zimmer schlief, das Licht anzündete, waren
bereits gefüllte Blattern um den ganzen Hals herausgetreten; und der Arzt,
der am folgenden Morgen kam, konnte sich nicht genug darüber verwundern. Der
Hals wurde erst nach mehreren Wochen wieder heil. Auch sonst bekam sie bei
Tag und bei Nacht Stösse an die Seite oder auf den Kopf, oder es fasste sie an
den Füssen, dass sie plötzlich, entweder auf der Strasse oder auf der Treppe,
oder wo es war, niederstürzte, wovon sie Beulen und andere Schäden
davontrug. Die schwerste Nacht hatte ich vor dem 25. Juli 1842. Ich kämpfte
von abends 8 Uhr bis morgens 4 Uhr, ohne befriedigt fertig zu sein, wie
sonst noch nie.
Ich musste sie verlassen,
weil ich eine Fahrt zum Kinderfest nach KornthaI vorhatte. Als ich spät
abends wieder zurückkam, hiess es, sie sei in völligem Delirium und nun als
fast ganz wahnsinnig zu betrachten. Wer sie sah, jammerte; sie zerschlug
sich die Brust, raufte sich die Haare aus, krümmte sich wie ein Wurm und
schien eine völlig verlorene Person zu sein. Ich besuchte sie erst am
folgenden Tag morgens 8 Uhr, nachdem ich in der Reihe meiner täglichen
Bibellektionen die merkwürdigen Worte im Buch Jesus Sirach (Kap. 2) nicht
ohne Tränen und mit fast gebrochenem Herzen gelesen hatte:
«Mein Kind, willst
du Gottes Diener sein, so schicke dich zur Anfechtung. Halte fest und leide
dich und wanke nicht, wenn man dich davon locket. Halte dich an Gott und
weiche nicht, auf dass du immer stärker werdest. Alles, was dir widerfährt,
das leide und sei geduldig in aller Trübsal. Denn gleich wie das Gold durchs
Feuer, also werden die, so Gott gefallen, durchs Feuer der Trübsal bewähret.
Vertraue Gott, so wird er dir aushelfen; richte deine Wege und hoffe auf
ihn. Die ihr den Herrn fürchtet, hoffet das Beste von ihm, so wird euch
Gnade und Trost allezeit widerfahren. Die ihr den Herrn fürchtet, harret
seiner Gnade, und weichet nicht, auf dass ihr nicht zugrunde gehet.»
V on diesen Worten gestärkt,
kam ich zur Leidenden. Bis gegen 11 Uhr schien wieder alles gut zu stehen.
Allein des Nachmittags musste ich wiederkehren; und jetzt ging es fort bis
abends 7 Uhr, jedoch so, dass auf einmal das Ausfahren der Dämonen durch den
Mund anfing. Eine Viertelstunde lag sie wie tot da. Ich hatte alle
Glaubenskraft zusammenzuraffen, bis sie wieder atmete, während ich von der
Strasse herauf die Leute einander zurufen hörte: «Jetzt ist sie gestorben!»
Nach manchen heftigen Zuckungen des Oberleibs öffnete sie jetzt weit den
Mund, und es war. als spuckte sie einen Dämon um den anderen heraus. Es ging
immer partienweise, je 14 oder je 28, oder je 12, und so schien es bis in
die Tausende zu gehen, ohne ein Wort von meiner Seite, auch ohne dass ein
Wort von den Dämonen gesprochen worden wäre, ausser dass diese, wenn wieder
eine neue Partie kam, zornige Blicke umherwarfen. Endlich hörte es auf; und
jetzt schien eine bedeutende Epoche gekommen zu sein. Mehrere Wochen kam so
gut als nichts vor, und Gottliebin konnte wandeln, wo sie hinwollte.
Ich freute mich in dieser
Zeit. Aber nie geahnt hätte ich, was nun weiter erfolgte.
Teil 4:
„... dass
sie schon vor 2 Jahren jeden Mittwoch und Freitag von geisterähnlichen
Gestalten... gequält worden sei...“
„jetzt ist alles
verraten! Du verstörst uns ganz! Der ganze Bund geht.....“
Nach einiger Ruhezeit kam
die Kranke blass und entstellt zu mir, mir etwas zu klagen, was sie bisher
aus Schüchternheit vor mir zurückgehalten habe, nun aber nicht länger
verschweigen könne. Sie zögerte noch eine Weile, und ich wurde ängstlich
gespannt, bis sie endlich anfing zu erzählen, dass sie schon vor zwei Jahren
jeden Mittwoch und Freitag von geisterähnlichen Gestalten bis zu
schmerzlichen und starken Blutungen gequält worden sei. Gewöhnlich hätte die
Plage drei Stunden lang fortgedauert, und sie habe unerhörte Schmerzen dabei
ausgestanden. Dem Arzt habe sie von den Blutungen gesagt; und der habe
allerlei ärztliche Mittel angewendet, ohne etwas zur Heilung zustande
bringen zu können. Diese Plage habe mit dem Tage aufgehört, da ich zum
ersten Male mich ernstlich ihrer angenommen hätte; aber seit den letzten
Kampftagen (25. und 26. Juli 1842) hätten sie wieder angefangen. An den
genannten Tagen müsse sie sich immer mit Schrecken zu Bett legen, und wenn
die Plage an sie komme, könne sie nur noch ächzen, ausserstand, sich auch nur
im geringsten zu bewegen. Wenn diese Plage nicht aufhöre, so müsse es ihr
Tod sein. Es war auch deutlich zu sehen, dass sie damals mit jedem Tage
abgezehrter wurde.
Diese Sache erschreckte mich
natürlich sehr; denn dergleichen hatte ich noch nicht gehört, als höchstens
in Vampir-Märchen, die je und je von phantasiereichen Dichtern auf eine
schauerlich abenteuerliche Weise erzählt worden sind. Später hörte ich
freilich von allerlei Sagen, die unter dem Volke im Gange sind, wie
namentlich, dass bisweilen Kinder solchen Plagen ausgesetzt seien, die man
den sogenannten bösen Leuten, d. h. Hexen, zuschreibt. Vor der Hand brauchte
ich ordentlich Zeit dazu, mich zu sammeln und zu der traurigen Überzeugung
zu kommen, dass die Finsternis so viele Macht über die Menschen solle
bekommen haben. Mein nächster Gedanke war: «Jetzt bist du fertig, jetzt
geht's in die Zauberei und Hexerei hinein; und was willst du gegen diese
machen?" Wenn ich aber das jammernde Mädchen ansah, so schauderte es mich
vor der Möglichkeit der Existenz jener Finsternis und vor der Unmöglichkeit
der Hilfe. Es fiel mir ein, dass es Leute gebe, denen man geheimnisvolle
Künste zur Abwehr von allerlei dämonischen übeln zuschrieb, und sympathische
Mittel, welchen
immer unbedingter Hohe und
Niedere huldigen. Sollte ich etwa nach dergleichen Dingen mich umsehen?
Das hiesse, wie ich längst
überzeugt war, Teufel mit Teufel vertreiben. Ich erinnerte mich also bald an
eine Warnung, die ich schon einmal bekommen hatte, da ich damit umging, etwa
den Namen Jesu an die Türe der Wohnung der Kranken zu heften, oder sonst des
etwas zu versuchen, weil eben guter Rat oft schwer zu finden war. Unter
solchen Gedanken las ich morgens die Losung der Brüdergemeine jenes Tages,
welche lautete: «Seid ihr so unverständig? Im Geist habt ihr angefangen,
wollt ihr's denn nun im Fleisch vollenden?" (Gal. 3, 3.) Ich verstand den
Wink, und Gott sei gepriesen, der mich geleitet hat, stets bei den lauteren
Waffen des Gebets und des Wortes Gottes zu bleiben! Soll, durchfuhr es mich,
gläubiges Gebet nicht auch wider obige Satansmacht, worin sie nun bestehen
möge, etwas auszurichten vermögen? Was sollen denn wir armen Menschlein
machen, wenn hier nicht direkte Hilfe von oben zu erflehen ist? Ist Satan
hier im Spiel: ist's recht, es dabei zu belassen?
Und kann das nicht durch den
Glauben an den wahrhaftigen Gott niedergetreten werden? Wenn Jesus gekommen
ist, die Werke des Teufels zu zerstören, soll solches nicht hier vornehmlich
festgehalten werden?
Gibt's eine Zauberei und
Hexerei, ist's nicht Sünde, sie unangetastet ihr Spiel treiben zu lassen,
wenn eine Gelegenheit sich zeigt, ihr mit Ernst die Spitze zu bieten? Mit
solcherlei Gedanken arbeitete ich mich hinein in den Glauben an die Kraft
des Gebets auch in dieser Sache, bei welcher kein anderer Rat sonst übrig
war, und ich rief der Kranken zu: « Wir beten, sei es was es wolle, wir
probieren es, wir verspielen wenigstens nichts mit dem Gebet; und auf Gebet
und Gebetserhörung weist uns die Schrift fast auf jeder Seite; der Herr wird
tun, was er verheisst!» So entliess ich sie mit der Versicherung, ihrer
gedenken zu wollen, und mit der Weisung, mir wieder Bericht zu bringen. Der
gefürchtete Freitag war schon der folgende Tag. Es war der Tag, an welchem
nach mehrmonatlicher Dürre gegen Abend das erste Gewitter am Himmel
erschien, für mich ein unvergesslicher Tag. Während die Kranke abends 6 Uhr
unter der Haustüre ihres Vetters hinging, überfielen sie, wie sie erzählte,
die Gestalten, und starke Blutungen begannen. Um sich umzukleiden, eilte sie
in ihre eigene Wohnung; und während sie auf dem Stuhle dort sass, war es ihr,
als müsste sie unaufhörlich etwas einschlucken, das sie nach einigen
Augenblicken ganz ausser sich brachte. Sie fuhr rasend durch beide Stuben und
begehrte hitzig ein Messer, welches ihr aber die erschrockenen Geschwister
nicht in die Hände kommen liessen. Dann eilte sie auf die Bühne, sprang auf
das Gesimse des Fensterladens hinauf und stand bereits ausser dem Laden in
freier Luft, nur noch mit einer Hand nach innen sich haltend, als der erste
Blitzstrahl des nahenden Gewitters ihr ins Auge fiel, sie aufschreckte und
weckte. Sie kam zur Besinnung und rief: «Um Gottes willen, das will ich
nicht!» Der lichte Augenblick verschwand; und im wiederkehrenden Delirium erfasste sie einen Strick (woher - ist ihr heute noch unerklärlich) und band
ihn künstlich um das Gebälke der Bühne mit einer Schlaufe, die sich leicht
zusammenzog. Schon hatte sie den Kopf beinahe ganz in die Schlaufe
hineingezwängt, als ein zweiter Blitzstrahl durch das Fenster ihre Augen
traf, der sie, wie vorhin, wieder zur Besinnung brachte. Ein Tränenstrom
floss ihr am folgenden Morgen von den Augen, als sie den Strick am Balken
erblickte, den sie bei der besten Besinnung so künstlich umzubinden nicht
imstande gewesen wäre. Sie blieb nun ein wenig wach und kroch, von den
fortgesetzten Blutungen äusserst erschöpft, den kurzen Weg zu ihres Vetters
Haus.
Dass sie die Treppen
hinaufkam bis zur Bühnenkammer, da sie damals schlief, war alles, was sie
vermochte; und bewusstlos sank sie aufs Bett. Jetzt wurde ich gerufen, da
schon das Gewitter ausgebrochen war , gegen 8 Uhr abends. Ich fand sie ganz
im Blute schwimmend, das überall durch die Kleider am Oberleibe sich
drängte. Die ersten Trostworte, die ich ihr zurief, hatten die Folge, dass
sie ein wenig erwachte und ausrief: „die Gestalten!“ – „Siehst du sie denn?“
fragte ich; die Antwort war ein jammerndes Stöhnen. Da hob ich mit Ernst an
zu beten, während draussen der Donner rollte. Was ich sprach, weiss ich nicht
mehr. Doch wirkte es nach einer Viertelstunde so entscheidend, dass sie
ausrief: „Jetzt sind sie weg!» Bald kam sie ganz zu sich, und ich entfernte
mich auf etliche Augenblicke, bis sie ganz umgekleidet war. Es war unter uns
nur ein Loben und Danken, als wir sie wieder so völlig verändert, auf dem
Bett sitzend, antrafen. Von jenem Tage an hörte obige Plage auf; und nur
etliche Male noch sah sie Gestalten vor sich, als wollten sie auf sie
eindringen, jedoch ohne dass etwas weiteres geschah, bis auch das aufhörte.
„jetzt ist alles verraten!
Du verstörst uns ganz“
Mochte nun an der Sache
sein, was wollte, geholfen war nicht.» - «So?» sagte ich, «nein, ich traue
dir nicht», worauf ich Hut und Stock wieder beiseite legte. Noch sprach ich
ein kurzes Gebet, als es hohnlachend ausbrach und sagte: «Du hast recht
getan, dass du nicht gegangen bist; du hättest es verspielt und alles
verloren.» Ich achtete nicht sehr auf das Gesprochene und sprach und
handelte auf die gewöhnliche Weise. Plötzlich brach mit ganzer Stärke der
Zorn und Unmut der Dämonen los, und es wurde eine Menge Äusserungen folgender
Art vernommen, meist mit heulender und wehklagender Stimme: « Jetzt ist
alles verraten! Du verstörst uns ganz! Der ganze Bund geht auseinander!
Alles ist aus! Alles kommt in Verwirrung! Du bist schuld daran mit deinem
ewigen Beten! Du vertreibst uns doch noch! Wehe! Wehe! Alles ist verspielt!
Unser sind 1067, und derer, die noch leben, sind auch viele!» - Von
denen, die noch leben, hiess es: «Aber die sollte man warnen! O wehe
ihnen! wehe! sie sind verloren!» Ich sagte hier dazwischen hinein:
«Die noch leben, können sich
bekehren; Gott vermag sie wohl noch zu retten! Denket ihr nur an euch!» Da
erhielt ich mit starker Stimme die Antwort: «Sie haben sich mit Blut
verschrieben!» - «Wem denn?» «Dem Teufel, dem Teufel!» - Von solchen
Blutverschreibungen wurde später oft die Rede, besonders mit dem Beisatz:
«Gott verschworen, ewig verloren», als ob solche Verschworene keiner
Bekehrung und Rettung mehr fähig wären. Doch schienen sie das mehr nur von
sich, den Verstorbenen, zu sagen. Im gegenwärtigen Augenblicke zeigte
sich bei den Dämonen nur Verzweiflung, weil der Weg in den Abgrund ihnen
gewiss schien. Das Gebrüll der Dämonen, die zuckenden Blitze, die rollenden
Donner, das Plätschern der Regengüsse, der Ernst der Anwesenden, die Gebete
von meiner Seite, auf welche die Dämonen nach oben beschriebener Weise
ausfuhren, - das alles bildete eine Szene, die sich kaum jemand auf eine der
Wirklichkeit entsprechende Weise wird vorstellen können.
Nach einigen Stunden jedoch
wurde alles ruhig, und ich schied freudiger als je von der Kranken.
Bereits konnte ich mich
genügend davon überzeugen, dass der Kampf, in dem ich stand, ein ganz
eigentümlicher war, über dessen Bedeutung mir schon jetzt einiges Licht
aufging, die mir aber erst im weiteren ganz klar wurde. Wenn übrigens die
Dämonen unter anderem äusserten: «Niemand in der Welt hätte uns vertrieben;
nur du mit deinem ewigen Beten und Anhalten setzest es durch», so war mir
das nicht so ganz unerklärlich; denn nicht so leicht würde sich einer so
hergegeben haben, als ich, und sicherlich die am wenigsten, die, indem ich
ehrlich genug bin, auch solche Äusserungen niederzuschreiben, mich einer
hochmütigen Selbsterhebung zeihen wollen.
5
«Diese Art fährt nicht aus,
denn durch Beten und Fasten» ...
Das zuletzt Erzählte fiel im
August 1842 vor. Es zeigte sich schon in den nächsten Tagen, dass bei der
Kranken keineswegs alles entfernt war. Die Zeit wollte mir freilich jetzt
lange werden, besonders da ich durch manche andere Arbeiten, zu denen ich
mich neben meinem Amte verpflichtet hatte, oft in das äusserste Gedränge kam.
Ein teurer Freund in meinem Nachbarlande, dem ich in jener Zeit Gelegenheit
und Mut hatte, meine schwere Lage zu schildern, wies mich endlich auf das
Wort des Herrn hin: «Diese Art fährt nicht aus, denn durch Beten und
Fasten», und durch weiteres Nachdenken kam ich darauf, dem Fasten mehr
Bedeutung zu geben, als man ihm gewöhnlich gibt. Sofern dasselbe ein
tatsächlicher Beweis vor Gott ist, dass der Gegenstand des Gebets dem Beter
ein wahres und dringliches Anliegen sei, und sofern es die Intention und
Kraft des Gebets in hohem Grade verstärkt, ja ein fortgesetztes Gebet auch
ohne Worte repräsentiert, konnte ich glauben, dass es nicht ohne Wirkung sein
werde, besonders da für den Fall, in dem ich stand, ein besonderes Wort des
Herrn vorlag.
Ich versuchte es, ohne
jemandem etwas davon zu sagen, und muss bekennen, dass die nachfolgenden
Kämpfe mir dadurch ausserordentlich erleichtert wurden. Besonders gewann ich
das damit, dass ich viel ruhiger, bestimmter und fester reden konnte, auch
nicht mehr nötig hatte, so lange Zeit zu verweilen.
Ich fühlte, dass ich, ohne da
zu sein, wesentlich einwirken konnte, und wenn ich kam, gewahrte ich oft in
wenigen Augenblicken bedeutende Resultate. Dies war namentlich bald nach dem
Vorfall im August der Fall, da die Kranke bestimmt einen Dämon der bösesten
Art in sich fühlte. Sie lag oft wie tot da, indem ihr der Atem von innen
aufgehalten wurde. Sie wurde auf allerlei Weise innerlich gestochen und
gedrückt, bisweilen auch äusserlich so gelähmt, dass sie kaum ein Glied aus
eigenem Vermögen bewegen konnte. Dabei war sie äusserst mürrisch und
widerwärtig, und besonders widrig wurden ihr Besuche von mir. Das Ärgste
aber war, dass abermals von innen heraus wie mit einem stechenden Instrumente
Blut gegen die äussere Haut getrieben wurde und so die Blutungen von neuem
begannen, wiewohl die Ursache jetzt eine andere als früher zu sein schien.
Ich fastete, fand aber gerade an jenem Tage die Umstände am schlimmsten.
Doch wurde durch das Gebet das Bluten alsbald gestillt. Aber der Dämon
sprach aus ihr so trotzig, höhnisch und gotteslästerlich, dass ich mich ganz
stille hielt und, der stillen Kraft des Gebets vertrauend, zum Fortgehen
mich anschickte. Jetzt wollte es mich wieder aufhalten, aber sichtbar so,
dass es mich wie zum Besten hielt. Ich ging daher weg; und was es auch
nachher tobte und wütete, ja obwohl man mich wieder rufen wollte in der
Besorgnis, das Leben der Kranken stehe auf dem Spiel, so liess ich mich nicht
mehr zum Besuche bewegen. Wirklich brach auch in der nächsten Nacht die
Gewalt des Dämons, und am dritten Tage wich er fast ohne ein Wort von meiner
Seite, freilich so, dass der Hals innen ganz verbrannt wurde, was ihr längere
Zeit viel Beschwerden und Schmerzen verursachte. -
6
dass eine grosse
Veränderung mit den zum Vorschein kommenden Geistern vorgegangen war...
Eine zusammenhängende
Geschichte bis zum Februar 1843 kann ich nicht mehr geben. Ich erinnere mich
nur, dass ich unaufhörlich Mühe und Not hatte, obwohl beständig von der
Hoffnung aufrecht erhalten, es werde endlich das Ende kommen. Ich füge daher
hier einige allgemeine Bemerkungen ein, die ich mit unerschrockener
Offenheit gebe, wiewohl allerlei Rücksichten mir raten wollen, behutsam
zu sein. Es stellte sich nämlich mehr und mehr heraus, dass eine grosse
Veränderung mit den zum Vorschein kommenden Geistern vorgegangen war.
Ihrer viele, die bisher öfters wiedergekehrt waren, kamen nicht wieder; und
die Person sah mich von diesen in der Kirche, während ich auf der Kanzel
stand, auf eine grässliche Weise umschwärmt, als wollten sie alles versuchen,
mir Schaden zuzufügen. Dass ich ganz ohne Empfindung geblieben sei, auch in
der Zeit, da ich noch nichts darum wusste, da es mir die Gottliebin aus
Schonung lange Zeit verschwieg, kann ich gerade nicht sagen; aber doch
war die etwaige Einwirkung auch nicht so, dass ich ihre Aussagen dadurch
bestätigt fand. Namentlich fühlte ich mich in den Predigten eher gestärkt
als geschwächt. Ich lasse es also dahingestellt sein. Bei anderen Geistern,
die fortan sich zu erkennen gaben, schien es in der Schwebe zu sein, was
weiter aus ihnen werden sollte. Merkwürdig war es, dass die Gottliebin von
Anfang an entweder im Schlafe, oder wenn sie nicht bei ihren gewöhnlichen
Sinnen war , beständig in der Gesellschaft dieser Geister sich befand, von
denen sie viele kannte, während sie von dem, was zwischen mir und den
Geistern aus ihr vorfiel, nichts wusste. Sie sah ferner die ausgefahrenen
Geister jedesmal noch eine Weile in der Stube, und namentlich der
letzterwähnte, der als Haupt vieler erschien und stets mit einem ungeheuren
Buche dargestellt war, in das er die ihm Untergebenen eingetragen haben
soll, wurde mit einer seltsam verbrämten, kostbaren, auf uralte Zeit
hinzielenden Kleidung nach ihrer Aussage von ihr wahrgenommen. Die Dämonen
selbst erschienen der Gottliebin in bezug auf ihre Gesinnung sehr
verschieden. Die einen fand sie immer voll Wut und Ingrimm, namentlich in
Beratschlagungen begriffen, wie sie in dem durch das Wort Gottes gegen sie
gemachten Angriff sich helfen wollten; die anderen schienen von diesen mit
Gewalt festgehalten. Dieser Unterschied stellte sich auch bei denen heraus,
die aus ihr sprachen. Die einen waren trotzig, voll Hass gegen mich, und
sprachen oft Worte aus, die wert gewesen wären, aufbehalten zu werden. Sie
hatten ein Grauen vor dem Abgrund, dem sie jetzt sich nahe fühlten, und
sagten unter anderem: «Du bist unser ärgster Feind, wir sind aber auch deine
Feinde.
Dürften wir nur tun, wie wir
wollen!» Und dann wieder: „0 wenn doch nur kein Gott im Himmel wäre!“
Daneben schrieben sie doch alle Schuld ihres Verderbens sich selber zu.
Schauerlich war das Benehmen eines Dämonen, der früher im Hause der
Gottliebin von dieser gesehen worden war und jetzt als Meineidiger sich zu
erkennen gab. Er rief zu wiederholten Malen die Worte aus, die an einem
Fensterladen jenes Hauses gemalt stehen:
,,0 Mensch, bedenk'
die Ewigkeit, versäume nicht die Gnadenzeit, denn das Gericht ist nicht mehr
weit!»
Dann verstummte er, verzog
das Gesicht, hob starr drei Finger in die Höhe, schauderte plötzlich
zusammen und stöhnte: "Hm!» Dergleichen Szenen, welchen ich gerne mehr
Zuschauer gegönnt hätte, kamen viele vor. Die meisten Dämonen indessen,
die sich vom August 1842 bis Februar 1843 und später kund gaben, gehörten zu
solchen, die mit heissester Begierde nach Befreiung aus den Banden Satans
schmachteten. Es kamen dabei auch die verschiedensten Sprachen mit dem
sonderbarsten Ausdruck vor, meist dass ich sie mit keinen europäischen
Sprachen vergleichen konnte.
Aber sicher kam auch
Italienisches (dem Klange nach) und Französisches. Sonderbar und mitunter
komisch anzuhören waren in einzelnen Fällen die Versuche solcher Dämonen,
deutsch zu reden, besonders auch, wenn sie Begriffe umschrieben, deren
deutschen Ausdruck sie nicht zu wissen schienen. Dazwischen hinein liessen
sich Worte vernehmen, die ich keiner von beiden Arten Dämonen zuschreiben
konnte. Denn sie klangen als aus einer höheren Region stammend. Dahin gehört
die über die Massen häufige Anführung der Worte (Hab. 2,3.4): «Die Weissagung
wird ja noch erfüllet werden zu seiner Zeit, und wird endlich frei an Tag
kommen und nicht aussen bleiben. Ob sie aber verziehet, so harre ihrer, sie
wird gewisslich kommen und nicht verziehen. Siehe, wer halsstarrig ist, der
wird keine Ruhe in seinem Herzen haben; denn der Gerechte lebet seines
Glaubens.» Dann war's wieder, als ob dieselbe höhere Stimme sich zu den
Dämonen wenden wollte, indem sie eine Stelle, die ich lange nicht finden
konnte, bis ich sie in Jer. 3, 25 erkannte, ausrief. Statt der ersten Person
«wir» wurde die zweite gebraucht, also: «Darauf ihr euch verliesset, das ist
euch jetzt eitel Schande, und des ihr euch tröstetet, des müsset ihr euch
jetzt schämen. Denn ihr sündigtet damit wider den Herrn, euren Gott, beide,
ihr und eure Väter, von eurer Jugend auf, auch bis auf diesen heutigen Tag;
und gehorchtet nicht der Stimme des Herrn, eures Gottes.» Diese und andere
Bibelstellen begriff ich lange nicht, doch lernte ich, allem mehr
Aufmerksamkeit und Bedeutung schenken. Bei solchen Äusserungen, die bisweilen
am Schlusse eines Kampfes vorkamen, war es mir zumute, als ob mir Stärkung
und Trost von oben damit geboten wäre, wie ich denn auch nicht ohne den gerührtesten Dank auf die vielen Bewahrungen und Rettungen zurückblicken
kann, die ich erfahren durfte. Denn dazwischen hinein kamen immer wieder
grauenhafte Szenen vor.
Die Kranke wurde
unaufhörlich gequält. Namentlich wurde ihr Leib in jener Zeit oft
ausserordentlich aufgedunsen, und sie erbrach ganze Kübel voll Wasser , was
dem Arzte, der je und je dabei war, besonders rätselhaft war, da man gar
nicht begreifen konnte, woher das viele Wasser käme. Sie bekam ferner öfters
Schläge auf den Kopf, Stösse in die Seite, dazu heftiges Nasenbluten,
Bluterbrechungen, Not mit dem Stuhlgang und anderes; und bei allem, was mit
ihr vorging, schien es eine lebensgefährliche Wendung nehmen zu wollen. Aber
durch Gebet und Glauben wurde es unschädlich gemacht oder zurückgedrängt.
7 ...
es die
Dämonen bei mir angelegt hätten, so wäre ich verloren gewesen, ...
Noch teile ich einiges von
den nach Befreiung schmachtenden Dämonen aus jener Zeit mit. Ich gab lange
Zeit ihren Reden kein Gehör und kam oft in grosses Gedränge, wenn ich den
schmerzvollen Ausdruck im Gesicht, die flehentlich emporgehobenen Hände und
den heftigen Tränenstrom, der aus den Augen floss, sah und dabei Töne und
Seufzer der Angst, Verzweiflung und Bitte hörte, die einen Stein hätten
erweichen sollen. So sehr ich daher mich sträubte, auf irgend eine
Erlösungsmanier einzugehen, weil ich bei allem, was vorkam, immer zuerst an
einen etwaigen gefährlichen und verderblichen Betrug des Teufels dachte und
für die Nüchternheit meines evangelischen Glaubens fürchtete, so konnte ich
doch zuletzt nicht umhin, eine Probe zu machen, besonders da gerade diese
Dämonen, die einige Hoffnung für sich zu haben schienen, weder durch
Drohungen noch durch Ermahnungen sich zum \\T eichen bringen liessen.
Der erste Dämon, bei welchem
ich es, so viel ich mich erinnere, wagte, war jenes Weib, durch welches die
ganze Sache angeregt schien. Sie zeigte sich wieder in der Gottliebin und
rief fest und entschieden, sie wollte des Heilands und nicht des Teufels
sein. Dann sagte sie, wie viel durch die bisherigen Kämpfe in der
Geisterwelt verändert worden sei. Mein Glück aber sei das gewesen, dass ich
ganz allein beim Worte Gottes und dem Gebet geblieben sei. Wenn ich etwas
anderes als das versucht und etwa zu geheimnisvoll wirkenden Mitteln meine
Zuflucht genommen hätte, wie sie vielseitig unter den Leuten üblich seien
und auf welche es die Dämonen bei mir angelegt hätten, so wäre ich
verloren gewesen, Das sagte sie mit bedeutungsvoll aufgehobenem Finger
und mit den Worten schliessend: «Das war ein fürchterlicher Kampf, den Sie
unternommen haben!» Dann flehte sie dringend, ich möchte für sie beten, dass
sie vollends ganz aus des Teufels Gewalt befreit werde, in die sie fast
unwissend durch getriebene Abgötterei, Sympathie und Zauberei gefallen sei,
und dass sie irgendwo einen Ruheort erhalte. Ich hatte das Weib im Leben
gut gekannt, und sie zeigte damals eine Begierde zum Worte Gottes und
nach Trost, wie ich sonst nicht leicht wahrgenommen hatte, wie denn auch
kaum eine Woche verging, da sie nicht zwei- bis dreimal in mein Haus kam und
mich besuchte. Namentlich hatte sie von mir das Lied: «Ruhe ist das beste
Gut» sehnlich begehrt. Nun wollte mir doch das Herz um sie brechen; und mit
innerlichem Aufblick zu dem Herrn fragte ich sie: «Wo willst du denn hin?»
«Ich möchte in Ihrem Hause bleiben», antwortete sie.
Ich erschrak und sagte:
«Das kann unmöglich sein.» «Darf ich nicht in die Kirche gehen?» fuhr
sie fort.
Ich besann mich und sagte:
«Wenn du mir es versprichst, dass du niemanden stören und nie dich
sichtbar machen willst, und unter der Voraussetzung, dass es Jesus dir
erlaubt, habe ich nichts dagegen.» Es war ein Wagnis von mir, doch
vertraute ich dem Herrn, er werde alles recht machen, da ich mich vor ihm
keiner Vermessenheit schuldig fühlte. Sie gab sich zufrieden, nannte noch
den äussersten Winkel, dahin sie sich begeben wolle, und fuhr sodann
freiwillig und leicht aus, dem Anschein nach. Von alledem wurde der Kranken
nichts gesagt; und doch sah sie das Weib zu ihrem grossen Schrecken an der
bezeichneten Stelle in der Kirche. Ausser ihr aber gewahrte niemand etwas
davon, und in der Folge hörte die Erscheinung ganz auf, wie überhaupt
durch die nachfolgenden Kämpfe sich alles immer wieder veränderte. Auf
gleiche Weise suchten auch andere Geister, die durch Abgötterei und Zauberei
noch Gebundene des Teufels zu sein vorgaben, während sie sonst Liebe zum
Heiland hätten, Befreiung und Sicherheit. Nur mit äusserster Behutsamkeit und
angelegentlichen Bitten zu dem Herrn liess ich mich in das Unabweisbare ein.
Mein Hauptwort war immer: «Wenn Jesus es erlaubt!» Es zeigte sich auch, dass
eine göttliche Leitung darin waltete. Denn nicht alle erlangten, um was sie
baten, und manche mussten, auf die freie Barmherzigkeit Gottes sich
verlassend, fortgehen. Ich möchte diesen subtilen Punkt nicht weiter
ausführen und bemerke nur, dass keinerlei Unruhe vorgekommen ist, während die
Kranke stets wieder erleichtert wurde. Solche Geister, denen ein
vorübergehender Ruheort gegeben wird, dürfen auch mit den eigentlichen
Spukgeistern nicht verwechselt werden. Die letzten erscheinen immer als
unter dem Gericht und unter der Gewalt des Satans, von welcher jene befreit
waren. Manche Bemerkungen, die ich nach den gemachten Erfahrungen mitteilen
könnte, halte ich um so lieber zurück, da sie nur Anstoss erregen könnten,
während sie sonst, als nicht in der Bibel begründet, keine weitere
Aufmerksamkeit verdienen. Nur einen sehr interessanten Fall kann ich nicht
übergehen. Einer der Geister bat gleichfalls darum, in die Kirche
gelassen zu werden.
Ich sagte mein Gewöhnliches:
«Wenn es Jesus erlaubt!» - Nach einer Weile brach er in ein
verzweifeltes Weinen aus und rief oder härte rufen: «Gott ist ein Richter
der Witwen und Waisen!» mit dem Bemerken, es werde ihm nicht gestattet,
in die Kirche zu gehen. Ich sagte: «Du siehst, dass der Herr es ist, der dir
den Weg zeigt, und dass es also nicht auf mich ankommt. Geh hin, wo der Herr
dich hingehen heisst!» - Dann fuhr er fort: «Dürfte ich nicht in Ihr Haus
gehen?» Diese Bitte überraschte mich; und an Frau und Kinder denkend, wollte
ich nicht geneigt sein, zu willfahren. Allein ich bedachte mich, ob es nicht
eine Versuchung für mich sein soll, zu zeigen, dass ich mir alle Aufopferung
gefallen lassen könne, und sagte daher endlich: «Nun denn, wenn du niemand
beunruhigst und Jesus es dir erlaubt, so mag es geschehen.
- Plötzlich hörte ich wieder
etwas, wie von höherer Stimme, aus dem Munde der Kranken, das rief:
«Nicht unter Dach! Gott ist ein Richter der Witwen und Waisen!» Der
Geist fing wieder nach dem Ansehen an zu weinen und bat, wenigstens in
meinen Garten gehen zu dürfen, was ihm jetzt gestattet zu werden schien.
Es war, als ob einst durch
seine Schuld Waisen um ihr Obdach gekommen wären. - So dauerte es längere
Zeit fort; und wem ein Ruheort gegeben war, der kehrte nicht wieder.
Viele gaben sich zu erkennen, indem sie förmlich ihren Namen sagten, was
namentlich die taten, die seit meiner Amtsführung hier gestorben waren.
Andere nannten nur den Ort, wo sie her wären, oft Hunderte von Stunden
entfernt. Selbst aus Amerika wollten etliche gekommen sein. Ich liess es
dahingestellt sein, wie weit ich alles für Wahrheit zu nehmen hätte, und war
froh, ihrer nur los zu werden. Ich bemerke nur noch, dass durch obiges
keineswegs die Lehre von einem Fegfeuer oder die Lehre von einem Gebet für
die Verstorbenen bestätigt wurde.
Letzteres ist so gefährlich,
dass ich jedermann allen Ernstes davor warnen möchte, weil die nachteiligsten
Einwirkungen von Seiten der unsichtbaren Welt die Folge davon sein können.
Noch muss ich hier etwas Zusammenfassendes mitteilen, das zwar auffallen
wird, aber keineswegs von mir verschwiegen werden kann. Durch obiges, wie
durch andere spätere Erscheinungen wurde mir erkennbar, dass unsere Zeit an
einem übel leidet, das allmählich, ohne dass jemand mit Ernst darauf geachtet
hätte, wie ein heimlich nagender Wurm fast die ganze, auch evangelische
Christenheit durchfressen hat, nämlich, dass ich so sage, die Sünde
der Abgötterei, die stufenweise in die Zauberei und vollkommene Schwarzkunst
übergeht, von deren schauerlicher Existenz mir nur allzu gewisse Kunde
geworden ist. Unter Abgötterei mag jedes Vertrauen auf eine
übernatürliche unsichtbare Kraft verstanden sein, auf welche gestützt ein
Mensch entweder Gesundheit oder Ehre oder Gewinn oder Genuss sich zu
verschaffen bemüht ist, sofern sie nicht eine rein göttliche ist.
Aber auch jeder
abergläubische Gebrauch von scheinbar frommen Worten, besonders wenn die
höchsten Namen dazu gebraucht werden, ist Abgötterei, weil der lebendige
Glaube an Gott sowie die Hoheit und Majestät Gottes dadurch in eine
Karikatur verwandelt wird. Hierher gehört alle und jede Art von Sympathie,
deren Wirksamkeit neuestens von Hohen und Niederen immer entschiedener
anerkannt, und die daher fast von jedermann wenigstens in ihren scheinbar
unschuldigeren Sphären unbedingt angewendet wird, ohne dass man überlegt,
welchen Abfall von Gott solche gedankenlose Herabwürdigung des Namens und
der Kraft Gottes voraussetzt, und welches eigentlich in solchen Fällen die
unsichtbar wirkende Kraft ist und allein nur sein kann. Sowohl hierdurch,
als durch manches andere, das ich übergehe, hängt sich der Mensch mindestens
an eine unmittelbare Naturkraft und kehrt seinen Glauben ans Unsichtbare von
Gott ab an eine Art Naturgeist, wodurch er in den Augen des eifrigen Gottes,
der seine Ehre keinem andern lässt, wie das Alte Testament redet, nur ein
Abgötter wird. Soll eine unmittelbare unsichtbare Kraft helfen, warum will
der Mensch nicht durch Gebet an den, der die Kraft selbst ist, sich halten?
Noch weniger ist aus dem
Gebiet der Abgötterei die sogenannte Transplantation auszuschliessen, bei
welcher man einen Schmerz oder eine Krankheit durch allerlei Manipulationen
mit und ohne Formeln auf Bäume oder Tiere zu übertragen sich bemüht.
In die fürchterlichen Folgen
aller dieser Abgöttereien lernte ich allmählich einen Blick hineintun. Die
nächste Wirkung ist die, dass der Mensch mehr oder weniger an eine finstere,
satanische Macht gebunden wird, indem irgendein Dämon, durch den Akt der
Abgötterei herbeigelockt, Einfluss auf ihn gewinnt.
Dieser Einfluss kann physisch
sein und namentlich allerlei Nervenleiden, Krämpfe, Gichter und andere
Gebrechen zur Folge haben, bei welchen auch die Ärzte wenig Rat wissen, aber
auch psychisch, und Melancholie und Schwermut wecken oder grobe
Leidenschaften nähren, wie Wollust, Trunkenheit, Geiz, Neid, Zorn, Rachsucht
und dergl., Leidenschaften, die dem Menschen oft zur Last werden, ohne dass
er über sie Herr zu werden vermöchte. Was Paulus im Römerbrief von den
Folgen der Abgötterei schreibt, als einer Verwandlung der Herrlichkeit des
unvergänglichen Gottes in allerlei Torheiten, geht auch bei unserer
christlichen Abgötterei buchstäblich in Erfüllung, wenn Christen ihr
Vertrauen auf sinnlose Sprüchlein, auf geheime Formeln und Zeichen, auf
gewisse Tage und Stunden und auf Zettelchen setzen, die sie um sich hängen,
wie die Neger ihre Grigris, oder gar verschlingen, neben anderen
eigentlichen Greueln, welche hier auseinander zusetzen zu weit führen würde.
Eine weitere Folge ist die Unempfindlichkeit gegen das Wort der Wahrheit,
Gleichgültigkeit gegen die Sünde, Stumpfheit des Geistes für höhere
Empfindungen und Gedanken, und Sicherheit in Beziehung auf die Ewigkeit; und
umgekehrt, dass in der Trübsal kein Trost im Herzen haften will, namentlich
die evangelische Freude bei Anklagen des Gewissens nicht fest wurzeln kann.
Die traurigste Folge für den Menschen, wenn er obige Abgötterei nicht
erkannt und bereut hat, kommt nach dem Tode; und das ist es zunächst, was
ich mit Schaudern auf allerlei Weise in meinen Kämpfen bis zur Gewissheit
erfahren habe. Das Band, mit dem er an die finstere Macht sich gebunden hat,
ist noch nicht gelöst, und der Mensch, der eben glaubte, reif für die
Freuden des Himmels zu sein, wird als ein Abgefallener vom Feind
festgehalten, und je nachdem er sich verstrickt hat, auch wider seinen
Willen zur Qual der Lebenden dem Teufel zu dienen gezwungen. Ich enthalte
mich, noch weiter darüber zu reden, da es schwierig und gewagt ist, über
solche geheimnisvolle Dinge sich mit einiger Bestimmtheit auszusprechen.
8
Unter mancherlei Erfahrungen
rückte der 8. Februar 1843 heran. Da lag die Gottliebin fast den ganzen Tag
bewusstlos auf dem Bette, jedoch ohne dass es Besorgnis erregen konnte. Es
schien ihr eine Ruhe gegönnt zu sein, die aber mehr als eine Entrückung
ihres Geistes in ferne Gegenden anzusehen war. Ich berichte, wie sie nachher
erzählte. Es war ihr, als würde sie von jemand mit ausserordentlicher
Schnelligkeit über Land und Meer, über der Oberfläche schwebend, hingeführt.
Sie durchflog viele Länder und Städte, kam über dem Meere an Schiffen
vorbei, deren Mannschaft sie deutlich sah und vernehmlich reden hörte, bis
sie eine Inselwelt erreichte und von Insel zu Insel hinschwebte, endlich zu
einem hohen Berge gelangend, auf dessen Gipfel sie gestellt wurde.
Manche Einzelheiten liessen
mich auf Westindien raten. Auf dem Gipfel war eine grosse und weite Öffnung,
aus welcher Rauch emporquoll und Feuer aufschlug. Rings um sie her zuckten
Blitze, rollten Donner, bebte die Erde, und an den Ufergegenden zu den Füssen
des Berges sah sie mit einem Schlage Städte und Dörfer einstürzen und den
Staub hoch empor qualmen. Auch auf dem Meer gerieten Schiffe und Fahrzeuge
in Unordnung, und ihrer viele sanken ins Meer. Mitten unter dieser
Schreckensszene wurden die Dämonen, die sie bisher vornehmlich gequält
hatten, vorgeführt; und der Ärgste derselben, jener Dämon mit dem grossen
Buche, war der erste, der mit fürchterlichem Gebrüll und Heulen in die Tiefe
gestürzt wurde. Ihm folgten gegen tausend andere nach, die alle vorher auf
die Gottliebin zusprangen, als wollten sie dieselbe mit sich in den Abgrund
ziehen.
Als alles vorüber war, wurde
die Gottliebin auf dieselbe Weise zurückgebracht, wie sie hergekommen war,
und erwachte, ziemlich erschrocken, doch im ganzen wohl. - Was sie hier
erzählte, kann ich freilich nicht verbürgen; aber über die Massen erstaunt
und überrascht war ich, als kurze Zeit darauf in den Zeitungen das
fürchterliche Erdbeben geschildert wurde, welches eben am 8. Februar in
Westindien vorfiel. Die Schilderungen der Brüdergemeine, insbesondere, die
ich in einer Missionsstunde vorlas, versetzten Gottliebin ganz wieder in das
zurück, was sie im Geiste gesehen hatte. Von jener Zeit an sah sie mich auch
in der Kirche nicht mehr von Geistern umschwärmt. Solche Entrückungen kamen
in der Folge noch zweimal vor, doch so, dass sie über Asien hinzuschweben
schien. Ein andermal wurde ihr die Errettung von mehr als 800 vorher
gebundenen Dämonen vorgestellt. Wie auf diese Weise die Erdbeben jener Zeit
Bezug auf die hiesigen Kämpfe zu haben schienen, so auch Witterungen und
anderes, was ich gleichfalls nicht verschweigen kann. Sowohl die Dürr~ des
Jahres 1842 als die Nässe des Jahres 1843 kam zur Sprache. Am meisten aber
entsetzte es mich, dass gar die vielen Städtebrände des Jahres 1842 (die Zahl
wurde von den Dämonen auf 36 angegeben) dem Einfluss, ja der unmittelbaren
Einwirkung der Dämonen zugeschrieben wurden. Namentlich kam einmal ein
Dämon vor, der mit wollüstiger Gier die Flamme Hamburgs geschürt zu haben
vorgab. Auf die Frage, was sie dazu veranlasst hätte, kam einerseits die
kurze Antwort: «Wollust!», andererseits wurde angedeutet, dass der Satan,
merkend, dass viele Werkzeuge der Zauberei ihm geraubt würden, darauf
ausgegangen sei, um Werkzeuge zu werben, indem er Tausende ins Unglück
stürzte, die sodann leicht dazu zu bewegen wären, sich ihm womöglich mit
Blut zu verschreiben; «und», hiess es einmal, «es ist ihm auch gelungen».
Schrecklich waren oft die
Drohungen der Dämonen anzuhören, den ganzen Ort, und vornehmlich mein
Haus in Brand zu stecken. Öfters grinsten sie mir mit grässlicher Miene
entgegen: «Blut oder Feuer!» Wirklich war es auffallend, dass einmal in einer
besonders schweren Kampfnacht die Schafherde durch einen unbekannten Hund,
dessen der Schäfer nicht mächtig
werden konnte, in grosse
Angst und Verwirrung gebracht wurde, und am Morgen lagen zwei der grossen
Schafe zerrissen vor meinem Fenster. Ich berühre dies darum, weil es
einmal hiess: «Blut! und wenn's nur ein Schaf ist!»
9 .. hineingezaubert
waren, die alle den Zweck zu haben schienen, sie aus der Welt zu schaffen...
Sand, kleine Glasstücken,
allerlei Eisenstücke, alte verbogene Bretternägel...
So viel auch schon im
bisherigen Unbegreifliches und Unerhörtes erzählt worden ist, so habe ich
doch das Ärgste noch vor mir. Ich bleibe bei meiner Ehrlichkeit und fahre
fort, mitzuteilen, was mir noch in Erinnerung ist, überzeugt, der Herr werde
auch bei dieser Darstellung seine Hand über mir haben. Ihm zur Ehre, dem
Sieger über alle finsteren Kräfte, alles zu erzählen, ist auch meine einzige
Rücksicht.
Mit dem 8. Februar 1843
begann eine neue Epoche in der Krankheitsgeschichte. Denn von jetzt an kamen
noch entschiedenere Erscheinungen und Wirkungen der verschiedenartigsten
Zauberei zu meiner Beobachtung. Schauerlich war es mir wahrzunehmen, dass
alles, was bisher unter den lächerlichsten Volksaberglauben gerechnet wurde,
aus der Märchenwelt in die Wirklichkeit übertrat. Ich fasse zunächst alle
Erscheinungen zusammen, die im Laufe des Jahres 1843 aus dem Gebiete der
Zauberei vorgekommen sind.
Es zeigte sich, dass unzählig
viele Dinge in die Gottliebin, um das allein anwendbare Wort gleich zu
gebrauchen, hineingezaubert waren, die alle den Zweck zu haben schienen,
sie aus der Welt zu schaffen. Es fing mit Erbrechen von Sand und
kleinen Glasstücken an. Allmählich kamen allerlei Eisenstücke,
namentlich alte und verbogene Bretternägel, deren einmal vor meinen Augen
nach langem Würgen nacheinander zwölf in das vorgehaltene Waschbecken
fielen, ferner Schuhschnallen von verschiedener Grösse und Gestalt, oft so
gross, dass man es kaum begriff, wie sie in den Hals heraufkommen konnten,
auch ein besonders grosses und breites Eisenstück, bei welchem ihr der Atem
ausging, dass sie mehrere Minuten wie tot da lag. Ausserdem kamen in
unzähligen Mengen Stecknadeln, Nähnadeln und Stücke von Stricknadeln,
oft einzeln, da es am schwersten ging, oft auch in Massen, mit Papier und
Federn zusammengebunden. Es hatte öfters das Ansehen, als ob Stricknadeln
mitten durch den Kopf gezogen wären, von einem Ohr bis zu dem andern; und es
kamen das eine Mal einzelne fingerlange Stücke zum Ohr heraus; ein andermal
konnte ich es unter der Handauflegung fühlen und hören, wie die Nadeln im
Kopf zerbrachen oder sich drehten und zusammenbogen. Jenes waren stählerne
Nadeln, die sodann langsam in kleineren Stücken sich gegen den Schlund
hinspielten und zum Munde herauskamen; dieses eiserne, die sich biegen
liessen und endlich, drei- bis viermal gebogen, doch ganz, ihren Ausweg
gleichfalls durch den Mund fanden. Auch aus der Nase zog ich viele
Stecknadeln hervor, die sich von oben herab, da ich sie über dem Nasenbein
zuerst querliegend fühlte, allmählich, mit der Spitze abwärts gerichtet,
herabspielten. Einmal kamen fünfzehn solcher Nadeln auf einmal mit solcher
Heftigkeit zur Nase heraus, dass sie sämtlich in der vorgehaltenen Hand
der Gottliebin stecken blieben. Ein andermal klagte sie sehr über
Kopfschmerz, und als ich die Hand aufgelegt hatte, sah ich überall weisse
Punkte vorschimmern. Es waren zwölf Stecknadeln, die bis zur Hälfte noch im
Kopfe steckten und einzeln von mir herausgezogen wurden, wobei sie jedes mal
durch ein Zucken die Schmerzen kundgab. Aus dem Auge zog ich einmal zwei,
dann wieder vier Stecknadeln heraus, die lange unter den Augenlidern
umherspielten, bis sie ein wenig vorragten, um sachte herausgezogen zu
werden. Nähnadeln zog ich ferner in grosser Menge aus allen Teilen des oberen
und unteren Kiefers hervor. Sie fühlte dabei zuerst unerhörte Zahnschmerzen,
und man konnte lange nichts sehen, bis sich endlich die Spitzen anfühlen
liessen.
Dann rückten sie immer
weiter hervor, und wenn ich sie endlich anfassen konnte, brauchte es noch
grosser Anstrengung, bis sie ganz herauskamen. Zwei alte fingerlange und
verbogene Drahtstücke zeigten sich sogar in der Zunge; und es kostete Zeit
und Mühe, bis sie völlig herausgenommen waren. Um den ganzen Leib ferner
waren unter der Haut zwei lange, vielfach verbogene Drahtstücke eingewunden;
und ich brauchte mit meiner Frau wohl eine Stunde dazu, bis sie ganz da
waren; und mehr als einmal fiel sie dabei, wie dies überhaupt oft der Fall
war, in Ohnmacht.
Sonst kamen aus allen Teilen
des Oberleibes ganze und halbe Stricknadeln so häufig zu verschiedenen
Zeiten, dass ich sie im ganzen wenigstens zu dreissig schätzen darf. Sie kamen
teils quer, teils senkrecht heraus, nach letzterer Art namentlich öfters
mitten aus der Herzgrube. Wenn die Nadeln oft schon zur Hälfte da waren,
hatte ich doch noch eine halbe Stunde mit aller Kraft zu ziehen. Auch andere
Dinge, Nadeln verschiedener Art, grosse Glasstücke, Steinchen, einmal ein
langes Eisenstück kamen aus dem Oberleibe.
Ich kann es wahrlich
niemand übel nehmen, der misstrauisch gegen obige Mitteilungen wird; denn
es geht zu sehr über alles Denken und Begreifen. Aber die fast ein ganzes
Jahr hindurch fortgesetzten Beobachtungen und Erfahrungen, bei welchen
ich immer mehrere Augenzeugen hatte, worauf ich, schon um üblen
Gerüchten vorzubeugen, strenge hielt, lassen mich kühn und frei die Sachen
erzählen, indem ich völlig versichert bin, was ich schon vermöge des
Charakters der Gottliebin sein müsste, dass nicht der geringste Betrug
obwaltete, noch obwalten konnte. So oft ich sie in jener Zeit besuchte,
gerufen oder ungerufen, regte sich wieder etwas; und nach einiger Zeit
arbeitete sich ein Zauberstück aus irgend einem Teile des Leibes hervor. Der
Schmerz war jedes mal fürchterlich, und fast immer so, dass sie mehr oder
weniger die Besinnung verlor. Ja in der Regel sagte sie: «Das mache ich
nicht durch, das ist mein Tod!» Alles aber wurde bloss durch das Gebet
herausgebracht. Wenn sie zu klagen anfing, dass sie irgendwo Schmerzen
fühle, so durfte ich nur die Hand, gewöhnlich dem Kopfe, auflegen; und durch
lange Erfahrung im Glauben geübt, war ich versichert, jedes mal sogleich
eine Wirkung des Gebets zu erfahren, das ich mit kurzen Worten aussprach.
Sie fühlte auch alsbald, dass die Sache sich bewegte oder drehte und einen
Ausweg suchte. Durch die äussere Haut ging es am schwersten, und man fühlte
es oft lange, wie sich von innen heraus etwas vordrückte. Blut floss niemals;
auch wurde keine Wunde
verursacht, und höchstens konnte man noch eine Weile den Ort erkennen, von
dem sich etwas herausgearbeitet hatte, sobald alles durch blosses Gebet vor
sich ging. Bisweilen aber schnitt sie sich, vom Schmerze überwältigt, mit
einem Messer ohne mein Beisein die Haut auf, und diese Wunden waren fast
nicht mehr zu heilen. Der Gegenstände sind zu viele, als dass ich sie alle
aufzählen könnte; und ich erwähne nur noch das, dass auch lebendige Tiere,
welche ich jedoch selbst zu sehen nicht Gelegenheit bekam, aus dem Munde
kamen, einmal vier der grössten Heuschrecken, die sodann noch lebendig auf
die Wiese gebracht wurden, wo sie alsbald forthüpften, ein andermal sechs
bis acht Fledermäuse, deren eine totgeschlagen wurde, während die anderen
sich schnell verkrochen, wieder einmal ein mächtig grosser Frosch, der ihr
durch eine Freundin aus dem Hals gezogen wurde, und endlich eine
geheimnisvolle Schlange, eine Natter, wie es scheint, der gefährlichsten
Art, die nur Gottliebin, sonst niemand, flüchtig sah. (Doch glaubte ich
einen rasch hinfahrenden blinkenden Schimmerstreifen vom Munde aus über das
Bett hin wahrzunehmen.) Diese Natter verursachte ihr, nachdem sie aus dem
Munde gekommen war, bald nachher eine Wunde an dem Hals, ein andermal stach
sie sie, während sie mit der Familie zu Tische sass, so heftig in den Fuss,
dass das Bluten fast nimmer aufhören wollte. Beide Wunden machten ihr wohl
ein Vierteljahr lang Schmerzen, und es war deutlich zu sehen, dass es
gefährliche Giftwunden waren.
Ich kann diese Seite des
Kampfes nicht beschliessen, ohne wenigstens einen Fall der schauderhaftesten
Art spezieller zu
erzählen. Zu Anfang des Dezember 1843 hatte die Gottliebin ein Nasenbluten,
das gar nimmer aufhören wollte. Wenn sie eben eine Schüssel voll Blut
verloren hatte, so fing es wieder an; und es ist unbegreiflich, wie bei so
ungeheurem Blutverluste das Leben erhalten werden konnte. Auffallend war,
dass das Blut zugleich einen sehr scharfen Geruch hatte, aber immer besonders
schwarz anzusehen war. Der Grund davon lag in einer zauberischen Vergiftung,
deren nachher gedacht werden wird. In dieser Not traf sie mehrmals der Arzt,
der zwar etwas verschrieb, aber wohl selbst schwerlich viel Hoffnung von der
Wirkung der Arznei hatte. Nun machte ich in jener Zeit nachmittags 1 Uhr auf
einem Gang zum Filial, der mich an ihrem Hause vorbeiführte, einen kurzen
Besuch bei ihr. Sie sass frisch umgekleidet und sehr erschöpft auf einem
Stuhle. Auch war die Stube eben vom Blut gereinigt worden, das den Morgen
vorher reichlich geflossen war. Sie deutete mir auf dem Kopfe mehrere
Stellen und sagte, da stecke etwas; wenn das nicht herauskomme, so müsse
sie sterben.
Ich konnte eben nichts
Besonderes fühlen, sagte aber, weil ich Eile hatte, nach meiner Rückkehr
wolle ich wieder einkehren. Nach mir kam der Arzt, Dr. Spaeth, zu ihr, der
zwei Stunden bei ihr verweilte und sich vieles erzählen liess, auch wirklich
etwas Hartes an obigen Stellen fühlen konnte. Er merkte, dass etwas vorgehen
werde und wollte es abwarten, wurde aber zuletzt schnell zu einer
Niederkunft nach Simozheim gerufen. Um 4 Uhr befand ich mich wieder in der
Nähe des Orts. Da sprang mir jemand entgegen und sagte, ich möchte doch
schnell zur Gottliebin kommen.
Ich eilte und überall sah
ich voll Schrecken die Leute zum Fenster heraussehen, die mir zuriefen:
«Herr Pfarrer, es tut not!" Ich trat ein; aber ein Blutdunst erstickender
Art wollte mich wieder heraustreiben.
Sie sass in der Mitte der
kleinen Stube, hatte vor sich einen Kübel, der wohl zur Hälfte mit Blut und
Wasser gefüllt war, und die ganze Länge der Stube vor ihr und hinter ihr
floss eine breite Blutlache. Sie selbst war über und über mit Blut so
überzogen, dass man die Kleider kaum mehr erkannte. Denn man denke sich - das
Blut rieselte lebhaft aus beiden Ohren, aus beiden Augen, aus der Nase und
sogar oben auf dem Kopfe in die Höhe. Das war das Grässlichste, das ich je
gesehen habe. Es hatten es verschiedene Leute zum Fenster herein
bemerkt, obgleich diese sich scheuten, dazubleiben. Im Augenblick wollte ich
ratlos sein. Doch fasste ich mich; und ein kurzer und ernster Seufzer brachte
vorerst das Bluten zum Stillstande. Dann liess ich ihr das Gesicht waschen,
das nicht mehr zu erkennen war, und den Kopf, worauf ich die Stelle am Kopfe
anfühlte, in der sich etwas befinden sollte.
Auf dem Vorderkopfe oberhalb
der Stirn gewahrte ich bald etwas; und ein kleiner, aber verbogener Nagel
bohrte sich empor. Am Hinterkopfe drehte und arbeitete sich innerhalb
der Haut etwas weiter herab; und endlich kam ein verbogener
Bretternagel zum Vorschein. Das Bluten aber hatte von nun an ein Ende.
Die erste Ohnmacht, in die sie bei meinem Eintritt fiel, konnte auch
überwunden werden, wie die nachfolgenden; und am Abend fühlte sie sich
wieder ziemlich wohl und gestärkt. Was könnte ich nicht alles erzählen, wenn
ich Zeit gehabt hätte, ein Tagebuch zu führen!
10: ...dass gewisse
Personen die Kunst besitzen, im Geiste ausser dem Leibe zu sein...
Unter den vielen Kämpfen,
die ich nach Obigem zu bestehen hatte, machte ich mir allerlei Gedanken über
die Art und Weise, wie die Zauberkräfte etwa angewendet werden, da es mir
ein Bedürfnis war, wenigstens irgend etwas zur Erklärung mir denken zu
können. Natürlich fiel mir dabei ein, dass in Beziehung auf das Wesen der
Materie noch Geheimnisse obwalten, auf die die Philosophie mit Gewissheit
noch nicht gekommen ist. Dachte ich mir die Materie als ein Aggregat einer
Art von Atomen, wie sie von manchen Philosophen schon aufgefasst worden ist,
so wäre (stelle ich mir vor) die Zauberkunst nichts anderes, als eine
geheimnisvolle, von der finstern Macht gelehrte Kunst, das Band der
einzelnen Atome aufzulösen, um so den Gegenstand, mit dem sie ihr Wesen
treibt, unkenntlich, ja unsichtbar zu machen und mittelst anderer
Gegenstände, z. B. in gewöhnlichen Essen, dahin zu bringen, da es nach dem
Willen dessen kommen soll, der die Kunst ausübt. Dort wird sodann das
gelöste Band wieder hergestellt und der Gegenstand erscheint wieder als das,
was er vorher war So konnte sich die Gottliebin aus früherer Zeit gut
erinnern, dass sie bisweilen auf das Essen einer Suppe oder anderer Speisen
sogleich etwas Eigentümliches im Hals oder Leib gefühlt habe, das sie an
eine Verzauberung denken liess. Einmal warf sie Überbleibsel von einem
solchen Essen einem Huhn vor, das augenblicklich rasend herumlief und nach
einer Weile wie erstickend tot umsank. Sie öffnete Kopf und
Hals des Huhnes; und da steckten zu ihrem Schrecken eine Menge
Schuhnägel. Wie aber sollten andere Sachen in den Kopf und Leib wie in
den Oberleib kommen?
Erklärend lauteten die
Erzählungen der Gottliebin, wie sie bei Nacht öfters habe Personen aller
Arten und Stände im Geist zu sich ans Bett kommen sehen. Diese hätten ihr,
während sie dabei immer bewegungslos gewesen sei, entweder etwas wie Brot in
den Mund gereicht oder andere Glieder ihres Leibes berührt; und alsbald habe
sie Veränderungen in sich gefühlt, die sich zu den später vorkommenden
Gegenständen reimten. Jener Bretternagel und der kleinere Nagel, wodurch das
heftige Bluten verursacht wurde, wurden ihr abends mitten auf der Strasse von
jemandem, der einen geistlichen Ornat trug und da wartete, jedoch nur
scheinbar, d. h. im Geiste da war, wie sie glaubte, durch eine besondere
Manipulation in den Kopf geschafft, wobei sie nicht den geringsten
Widerstand leisten konnte; und also bald fing das Bluten an. Einmal traten
des Nachts auf gleiche Weise, d. h. als Geister, drei Männer vor sie, die
einen giftigen Spiritus in der Hand hielten. Sie konnte sich abermals nicht
bewegen. Der eine öffnete ihren Mund, der andere hielt sie am Kopf, und der
dritte wollte ihr den Spiritus eingiessen. Letzteres geschah ein wenig; und
um sie zu ersticken, wurde ihr nun wieder der Kiefer zusammengedrückt. Der
Dampf des Spiritus ging aber durch die Nase heraus; und sie, die wenigstens
imstande war, noch zu seufzen, blieb gerettet. Als die Männer merkten, dass
sie nichts ausrichteten, schütteten sie das Glas über den Kopf hin und
entfernten sich. Am Morgen war die Nachthaube von einem gelblichen, hässlich
riechenden Stoffe ganz zerfressen und liess sich leicht zerbröckeln. Ein
andermal, da sie wieder in ihrer eigenen Stube lag, hatte sie abends ihren
Rock an die Kammertüre gehängt; und die Schwester, die mit ihr in einem
Bette lag, wusste gewiss, was in der Rocktasche war, und dass die Gottliebin
nicht aus dem Bette kam. Letztere aber sah des Nachts eine Gestalt zu ihrem
Rock gehen, aus der Tasche ein blechernes Geldbüchschen, wie es die
Bauersleute haben, herausnehmen, nebst anderem, dann vor sie damit
hintreten, - und am anderen Morgen wurden unter heftigem Würgen Geldstücke
und das Büchschen von ihr erbrochen. Dies alles führt darauf, dass gewisse
Personen die Kunst besitzen, im Geiste ausser dem Leibe zu sein, wohl
nicht immer mit völligem Bewusstsein. Allein die Gegenstände in den Leib
praktizieren, wie soll das zugehen? Auch darüber gewährt das einigen
Aufschluss, dass bei allen den Gegenständen, die eingezaubert wurden, immer
noch ein verstorbener Mensch oder Dämon mitwirkte, der allein die Kunst
ausübte und mit dem Gegenstand in den Menschen fuhr. So stellte sich's
vielfältig dar; und so kommt es, dass die Besitzung eigentlich nur um der
Zauberei willen da war und es sich nicht sowohl um die Heilung einer
Besessenen, als um die Befreiung einer bezauberten Person handelte. Dass aber
die Gegenstände nicht wirklich töteten, wie die Finsternis beabsichtigte,
daran war eine besondere Bewahrung Gottes schuld, die sich auf eine
auffallende Weise mit dem Eintritt des Zaubers schon dadurch zu erkennen
gab, dass die Gottliebin fortan zunächst wenig Empfindung von den
Gegenständen, die in ihr waren, hatte, bis die Zeit kam (manches muss über
zwei Jahre in ihr gelegen sein), dass diese wieder entfernt werden sollten.
Daher ferner, dass ein Dämon immer sozusagen der Wächter der Gegenstände
war, kam es, dass der Zauber oft erst durch meine Anwesenheit und
besonders wenn ich mich, auch abwesend, für sie zum Beten bewogen fühlte, in
Bewegung gebracht wurde, und dass in der Regel vor oder nach Entfernung
des Zaubers ein Dämon ausfuhr. Davon aber bin ich fest überzeugt, dass,
wenn ich einmal einem Unglauben mich hingegeben hätte, als wäre es nicht
möglich, durch das alleinige Gebet auch das unmöglich Scheinende vollbringen
zu können, die Gottliebin verloren gewesen wäre. Ich fühlte mich jedoch
immer so gestärkt, dass ich alles meinem Heilande zutraute; und der Gedanke,
den ich mit jedem Tage zuversichtlicher fassen durfte, dass durch diesen
Kampf der schwarzen Kunst der Zauberei ein empfindlicher Stoss gebracht
werden müsse, liess mich auch bis aufs äusserste hinaus ausdauern.
Das eben Gesagte war das
Ergebnis vieler Erfahrungen und Beobachtungen und beständigen Nachdenkens
über die seltsamen Erscheinungen. Ich kann mich aber nicht enthalten, die
allmählich gewonnenen Schlüsse, die mich mit ziemlicher Sicherheit in das
Wesen der Zauberei hineinblicken liessen, noch weiter auseinander zu setzen.
Nach dem Obigen wirkte Zur Ausübung der Zauberei ein verstorbener und ein
lebender Mensch zusammen. Durch die früher geschilderten Abgöttereien
nämlich kann es geschehen, und geschieht es auch leider bis zu einer
schauderhaften Ausdehnung, dass ein Mensch, ohne es zu wissen und zu
merken, im Geiste vom Satan gebunden wird, so dass der Geist, freilich
ein psychologisches Rätsel, vom Leibe abwesend sein kann, selbst wenn die
Seele, wie es scheint, im Leibe gegenwärtig bleibt. Im Geiste wird er in
Verkehr und Gemeinschaft mit anderen, auf gleiche Weise gebundenen
Menschen gebracht, sowie mit verstorbenen, die auch mehr oder weniger im
Leben sich gebunden hatten. Die letzteren sind es eigentlich, die die
Zauberei ausüben, während die ersteren zur Herbeischaffung der Materialien
angehalten werden. Wider ihren Willen müssen die Lebenden (so konnte
es aus mancherlei Äusserungen der Dämonen geschlossen werden), die durch
Sympathie usw., wie auch durch freche Flüche, durch grobe
Fleischessünden usw. an den Satan gebunden sind, im Geiste diesem zu
Dienst sein, wiewohl dieser Zwang nach dem Grad der Vergehungen in
Abgöttereisünden verschieden ist. Ich wurde zuletzt von selbst darauf
hingeleitet, mir ein gewisses satanisches Komplott zu denken, durch welches
allmählich nach dem Plane Satans alle Menschen heimlich und mit List
sollten von Gott abgezogen werden, damit so Satans Reich allgemeiner und
Christi Reich vernichtet würde. Hier hatte die finstere Macht um so mehr
Glück, weil alles in der tiefsten Verborgenheit vor sich ging und, wo
sich etwas kund tat und bemerkbar machte, niemand auch nur im geringsten
darauf bedacht war, mit Mut und Glauben ihr entgegenzutreten. Die
meisten sogenannten Hexen und Hexenmeister, denen man allerhand Unglück,
Krankheit, Plagen an Menschen und Vieh zuschreibt, sind, was sie etwa in
dieser Art sind, ohne ihr Wissen und haben höchstens je und je ein Gefühl
davon, was sie im Geiste tun, ohne dies Gefühl sich erklären zu können. Es
sind also jedenfalls höchst unglückliche Menschen, und es folgt dar aus,
dass
die Beschuldigung eines lebenden Menschen in der Regel eine Unbarmherzigkeit
ist und von vornherein völlig verworfen werden muss, weil sie zu keinem
Resultat führen kann, indem die Beschuldigten oft völlig unschuldig sind
und, wenn nicht immer, doch in der Regel, wenn man sie auch, wie in
Hexenprozessen geschehen ist, mit Marterwerkzeugen zum Geständnis bringen
will, sich als unschuldig betrachten. Ich danke Gott, dass ich von Anfang an
von dem Grundsatz ausgegangen bin, keine Beschuldigung, zu der ich oft
Veranlassung hatte, bei mir aufkommen zu lassen, und niemand für das
anzusehen, wofür ich ihn hätte vielleicht ansehen können. Ich wäre dadurch
in eine schauerliche Verwirrung geraten, in welcher Satan mit mir und meiner
Sache gewonnenes Spiel gehabt hätte. - Wenn übrigens der gebundene Mensch
von dem, was er im Geiste tut oder zu tun gezwungen ist, kein Bewusstsein im
gewöhnlichen Leben hat, so folgt daraus nicht, dass er dafür nicht
zurechnungsfähig ist. Er ist es schon darum, weil die Sünde der Abgötterei
seiner Gebundenheit zu Grunde liegt, sodann, weil auch im Geist ihm der
freie Wille bleibt, dem Satan sich völliger hinzugeben oder nicht. Alle
Zurechnung und Folge aber mag verschwinden, wenn nur die getriebene
Abgötterei erkannt und bereut wird als eine der schwersten Sünden, weil sie
direkt wider das erste Gebot geschieht und den eigentlichen Abfall von Gott
ausmacht. Weil aber die Abgöttereisünden im Leben sollen bereut werden, was
aber nicht geschieht, indem man entweder keine Gefahr daraus fürchtet oder
wenigstens, wenn man auch ein unerklärliches Grauen davor hat, die Gefahr
nicht erkennt und hoch genug anschlägt, so dauert meist die Gebundenheit
nach dem Tode fort. Jetzt gehen dem betrogenen und durch des Teufels
List gefangenen Menschen die Augen auf. Jetzt bleibt es ihm aber auch
noch freigestellt, ob er sich dem Dienste Satans völlig hingeben wolle oder
nicht. Im ersten Falle wird er förmlicher Zaubergeist, der nun vom Satan
angehalten wird, vermittelst anderer lebender Zauberer auf verschiedene
Weise die Menschen zu plagen, entweder an ihrem Leibe oder an ihrem
Viehbesitz oder sonst.
Der Zweck dieser Plagen ist
kein anderer, als die Menschen so in die Enge zu treiben, dass sie wiederum
zu abergläubischen und abgöttischen Mitteln greifen, um selbst wieder
verstrickt zu werden. So erscheinen viele Unglücksfälle, die den Menschen
treffen, als eigentliche Hiobsprüfungen, von Gott zugelassen, weil sich
ergeben soll, ob der Mensch darüber Gott gesegnen wolle oder nicht. Ach, wie
leben und handeln doch die Menschen so sicher in den Tag hinein! - Die
Zauberei der Lebenden hat übrigens viele Stufen. Auf der niedrigsten
Stufe stehen diejenigen, welche nur etwa, wie man sagt, sich, d. h. an
und für sich brauchen lassen und dadurch sich verstricken, ohne fortan
ein Bewusstsein davon zu haben. Die höchste Stufe ist die eigentliche
Schwarzkunst, bei welcher der Mensch mit vollkommenem Bewusstsein dem Satan
dient, der ihm die Kräfte verleiht. In der Mitte zwischen beiden Klassen
stehen diejenigen, die aus dem Gebrauch von Zaubermitteln ein Gewerbe machen
und sich von den Leuten gebrauchen und holen lassen, wobei sie gewöhnlich
nach gedruckten Büchlein, deren viele unter dem Volke verbreitet sind und
die eigentliche Offenbarungen des Satans sind, oder nach Traditionen ihr
Wesen treiben. Diese dritte Gattung von Zauberern kann lange Zeit mit dem
scheinbaren Bewusstsein, Wohltäter der Menschen zu sein, ja mit dem Rufe
grosser Frömmigkeit ihre Formeln sprechen und Manipulationen
vornehmen, obwohl stets mit bösem Gewissen, wird aber durch dieses
Heidenwerk immer tiefer verstrickt und tritt der Gefahr, eigentlicher
Schwarzkünstler zu werden, immer näher. Am nächsten daran, wiewohl
vielleicht immer noch betrogen, sind diejenigen, welche vom Teufel, dass ich
so sage, geradezu Geister zu Ratgebern erhalten, und die den Namen und das
Alter von den Hilfe suchenden Leuten verlangen, vermittelst deren sie sich
bei den Geistern befragen. Diese Dämonen erscheinen ihnen durch gewisse
Mittel, die sie anwenden, auch vermittelst eines Spiegels entweder sichtbar
oder unsichtbar und beantworten die an sie gestellten Fragen, natürlich
nicht ohne Interesse für das Reich der Finsternis. So kommen Christen dazu,
sich bei Baal-Sebub Rat zu erholen (2. Könige 1). - Eigentliche
Schwarzkünstler sind die, welche sozusagen einen förmlichen Bund mit dem
Teufel geschlossen haben, was entweder einzeln oder durch Anschluss an
gewisse Gesellschaften, denen solcher Bund insgeheim zu Grund liegt,
geschehen mag. In beiden Fällen finden Unterschreibungen mit Blut statt,
indem man sich in die Finger oder sonst wohin ritzt und das ausfliessende
Blut zur Namensunterschrift benützt. Geschieht eine Verschreibung einzeln,
so kann es entweder durch eine förmliche satanische Verschreibung, von
welcher aber der Mensch nicht immer das Bewusstsein behält, oder im Geiste
geschehen, da dem Menschen abermals kein Bewusstsein davon bleibt. Was die
Schwarzkünstler suchen, ist hauptsächlich Glück, Wollust, Geld und Schutz
wider die Gefahren des Leibes; und die Künste, die sie besitzen, sind sehr
mannigfaltig. Sie können sich Geld verschaffen, sich unsichtbar machen,
gerade wie nach dem Obigen materielle Gegenstände unsichtbar gemacht werden
können, in wenigen Augenblicken Hunderte von Meilen sich entfernen, und zwar
mit ihrer ganzen Persönlichkeit. Namentlich können sie Hunderte von Stunden
weit Menschen töten; und auch Schlagflüsse, an denen oft die gesündesten
Menschen unerwartet hinsterben, können Folgen eines Zauberschlags aus
kleinerer oder grösserer Entfernung sein.
Auch Brandstiftungen verüben
sie unsichtbar.
Ich muss es natürlich jedermann freigestellt sein lassen, von diesen Dingen
zu glauben, was er will; aber ach der schauerlichen Gewissheit, die mir von
dem Vorhandensein derselben geworden ist! Aber ein im Glauben an den, der
der Schlange den Kopf zertreten, unternommener Kampf wider diese finsteren
Kräfte konnte unmöglich den Sieg verfehlen. Grösser noch ist unser Herr
!
11 obige
fast zwei Jahre fortgehende Kämpfe...
...Zu
diesem Schlusse eile ich jetzt...
Obige Bemerkungen sind teils
auf Tatsachen begründet, die in meinem Kampfe vorgekommen sind, teils auf
zerstreute, unzusammenhängende Äusserungen solcher scheinbaren Dämonen, die
Befreiung suchten oder gefunden hatten, teils auf sonstige psychologische
Erfahrungen und Beobachtungen, die ich bei einmal für diese Dinge geöffneten
Augen zu machen Gelegenheit genug hatte. Man könnte mir vielleicht den
Vorwurf machen, ich hätte dergleichen Dingen zu sehr nachgespürt und eine
träumerische Phantasie dabei obwalten lassen. Allein zu phantastischen
Grübeleien hatte ich wahrlich keine Zeit. Man denke sich neben meinem
Amte, dem ich mit ganzer Liebe stets und vornehmlich in den letzten Jahren
alle Aufmerksamkeit schenkte, indem ich, wie die Pfarrberichte darlegen,
viel besonders sowohl im Mutterort als auf dem Filial vornahm, um belehrend
und weckend auf meine Gemeinde einzuwirken, obige fast zwei Jahre
fortgehende Kämpfe, die Zeit und Gemüt in so hohem Grade in Anspruch
nahmen. Dennoch war ich in dieser ganzen Zeit auch schriftstellerisch tätig,
indem ich die Monatsblätter für öffentliche Missionsstunden verfasste,
Aufsätze in die Barth'schen Jugendblätter lieferte, wie über die
Erscheinungen und Wirkungen des Lichts, ferner ein Handbüchlein der
Weltgeschichte und ein anderes der Missionsgeschichte und Missionsgeographie
bearbeitete, von welchem das zweite mich, soweit ich übrige Augenblicke
hatte, in Berge von deutschen, englischen und französischen
Missionsschriften eingrub, und das eben jetzt die Presse verlässt. Ich konnte
auch nicht untätig bleiben bei der Regsamkeit in unserem Vaterlande für das
neue Gesangbuch und die neue Liturgie und lieferte Aufsätze ein, auch
zweimal ausgedehnte Entwürfe zu einem neuen Choralbuche, wobei ich mit viel
Mühe alte Choräle und Melodien aus vielen alten Schriften aufsuchte und
zusammentrug. Um neues Interesse für den Choral zu wecken, liess ich auch
eine Sammlung in den Druck kommen, nachdem ich zu diesem Zweck in die
Theorie des musikalischen Satzes mich erst hatte einüben müssen. Daneben
hielt ich im vorigen Sommer als Schulkonferenzdirektor einen doppelten
Lehrkurs ab, teils über die Behandlung der deutschen Sprachlehre in den
Volksschulen, teils über das Leben des Apostels Paulus, und liess
fortlaufende Aufsätze darüber unter den Lehrern kursieren. Dieses alles wage
ich hier anzuführen, - und ich bin versichert, dass man mir es nicht übel
auslegen wird, um zu beweisen, dass ich gerade damals keine übrige Zeit
hatte, auch nicht suchte, übertriebenen Phantasien nachzuhängen; und wer
die erwähnten Arbeiten nur flüchtig übersieht, wird schwerlich einer
krankhaften Einbildungskraft mich zeihen können. Es waren stets unmittelbare
und lange unverstandene Eindrücke, die ich unter meiner Geschichte erhielt
und bis auf weiteres unbearbeitet liegen liess, doch im Geiste sammelte,
bis sie endlich sich selbst in einen schauerlichen Zusammenhang fügten.
Erst mit dem Schluss der Geschichte wurde ich über das Ganze und Einzelne
klar. Zu diesem Schlusse eile ich jetzt, der mich jedoch, um verstanden
zu werden, abermals zu einem allgemeinen überblick leitet.
Wie es denn komme, dass
gerade bei der Gottliebin, einer seit manchen Jahren entschiedenen und
gediegenen, christlich denkenden Person in solcher Masse so schauderhafte
satanische Anfechtungen vorkommen konnten, das ist vielen, die von der
Sache hören, ein Rätsel. Mit dem Blicke, dieses scheinbare Rätsel
einigermassen zu lösen, teile ich Nachstehendes aus der früheren Geschichte
der Gottliebin mit, wie ich es aus ihrem Munde allmählich und
zusammenhanglos, ich möchte sagen zufällig erfuhr, aber erst gegen den
Schluss hin beobachtenswert und bedeutungsvoll finden konnte, obgleich es
abermals in unerhörte Dinge hineinführt. Man sehe mir den direkten, als den
bequemeren Erzählungsstil nach. Gottliebin weiss schon aus ihrer Kindheit
Umstände zu erzählen, die auf Nachstellungen hindeuten, sie in das Netz der
Zauberei zu verflechten, und ich bedaure, sogleich aufs neue etwas berühren
zu müssen, das in der Regel zu dem märchenhaftesten Aberglauben gerechnet
wird, und das ich doch jetzt Ursache habe, nicht mehr so ganz
wegwerfen zu dürfen. Sie stand bald nach ihrer Geburt in Gefahr,
unsichtbar weggetragen zu werden. Ihre Mutter, die vor zehn Jahren gestorben
ist, erzählte ihr oft, sie habe das Kind neben sich im Bette gehabt; und im
Schlafe sei ihr plötzlich bange um das Kind geworden; sie sei erwacht, habe
das Kind nicht gefühlt und ausgerufen: «Herr Jesus, mein Kind! » Da fiel
etwas an der Stubentüre zu Boden, und es war das Kind. Dasselbe kam auf
ähnliche Weise noch einmal vor. Die Kinder, an deren Stelle die Sage
sogenannte Wechselkinder gesetzt werden lässt, scheinen, wenn die Sache
einige Realität hat, nach Schlüssen aus einer weiteren Erfahrung dazu
bestimmt gewesen zu sein, Zauberern in die Hände zu fallen und durch diese
in das ganze Gebiet der Zauberei von früh auf eingeweiht zu werden. Solche
abergläubisch lautende Dinge hatten für mich früher nie eine Bedeutung und
bekamen sie in diesem Falle erst durch die Betrachtung über die mit der
Gottliebin gemachten Erfahrungen. Bald kam das Kind zu einer Base, die
allgemein als böse Person gefürchtet war und die zu dem
siebenjährigen Kinde sagte: «Wenn du einmal zehn Jahre alt bist (dies
der auch sonst laut gewordene Termin der Möglichkeit einer Einweihung in die
Zauberei), dann will ich dich etwas Rechtes lehren» ; ferner:
«Wenn du nur nicht Gottliebin hiessest und andere Paten hättest, so wollte
ich dir grosse Macht in der Welt verschaffen.» Dergleichen Äusserungen kamen
schon dem Kinde bedenklich vor; und unter den stillen Gedanken, die es sich
darüber machte, fiel ihm jedes mal der Spruch ein: «Unser Herr ist gross und
von grosser Kraft, und ist unbegreiflich, wie er regieret», mit dem Sinn,
dass
doch Gott allein es sei, der die Welt regiere.
Die Base starb, als das Kind
erst acht Jahre alt war. Indessen wurden auch bei dem letzteren, wie eben
der Unverstand des Volkes es zur Gewohnheit gemacht hatte, je und je
sympathetische oder zauberartige Mittel bei Krankheiten angewendet, woher es
kam, dass sie, wie andere, in einige Verstrickung geriet. Die Fähigkeiten des
Geistes, die sie besass, machten den Unterricht, den sie durch Pfarrer Barth
erhielt, sehr fruchtbar an ihrem Herzen. Ihre lautere Gottesfurcht bewahrte
sie vor noch tieferen Verstrickungen in Sünden der Abgötterei; und durch
fromme Eltern gewarnt, scheute sie frühzeitig alles, was daran hinstreifte.
Indessen - ich erzähle nach den Ergebnissen, die sich erst im Verlaufe ihrer
dämonischen Krankheit herausstellten - war sie eben doch schon gebunden, und
in einem Grade, bei dem sie nach dem Prinzip der Finsternis im Geiste zur
Plage anderer missbraucht werden sollte, ohne, wie dies immer bei geringerer
Gebundenheit der Fall ist, Ahnung oder Gefühl davon zu haben. Ihr Geist
aber, wie dies nach der früheren Darstellung möglich ist, widerstrebte den
Zumutungen der Finsternis, was ihr den Hass der letzteren zuzog. Es entstand,
wie es scheint, eine Art Spannung zwischen ihr und dem finsteren Reiche; und
dieses, das in sich selbst auch einig sein will, setzte ihr als einer
Abtrünnigen nach. Es handelte sich nun darum, sie entweder wirklich in die
Zauberei zu verlocken, und zwar in die tiefste Zauberei, weil sie nur so dem
Satan gesichert zu werden schien, oder sie aus der Welt zu schaffen, damit
durch ihren Widerstand dem finstern Reiche kein Nachteil erwachse. So war
die Aufgabe der Gottliebin, wie später die meinige, T reue und Glauben, -
Treue wider alle und jede Abgöttereisünde und Glauben an die die Treuen
schützende Macht Gottes, auch wenn die ganze Hölle sich aufmachte. Beides
ging still Hand in Hand bei der Gottliebin fort, und dass sie in beidem Tag
für Tag, ohne eine Ahnung von der Wichtigkeit zu haben, bewahrt wurde,
schätzt sie jetzt als das grösste Wunder, das an ihr geschah.
Die Versuchungen zur
Zauberei kamen unmittelbar an sie. Da sie sehr arm ist, so sollte die Armut
ihr zum Strick werden. Da geschah es im Februar 1840, da ihre beiden Eltern
schon gestorben waren und sie schon in der anfangs erwähnten Stube wohnte,
dass sie einmal für sich und ihre Geschwister nur etwas Brot im Hause hatte
und sonst noch einen Groschen besass. Mit letzterem machte sie sich auf den
Weg, um einen Topf Milch zu holen. Während sie ging, dachte sie bei sich
selbst: «Wenn du nur noch einen Groschen hättest, dann könntest du auch
gleich Salz zu einer Suppe mitnehmen.“ Indem sie so dachte, fühlte sie
plötzlich zwei Groschen in der Hand. Es war ihr nicht wohl dabei, weil ihr
gewisse Sagen von Zaubergeld einfielen, die unter dem Volk im Umlauf sind;
und sie geriet in Sorge, welchen sie für die Milch ausbezahlen sollte.
Glücklicherweise wurde ihr diese geschenkt; und so konnte sie im Besitze von
zwei Groschen ihren Rückweg nehmen. Da kam sie über einen Wassergraben; und
bis dahin war ihre Angst so hoch gestiegen, dass sie plötzlich beide Groschen
ins Wasser warf und ausrief: «Nein, Teufel, so kriegst du mich noch nicht;
Gott wird mich schon durchbringen.» Es wurde ihr hierbei ganz leicht; allein
wie sie in ihre Stubenkammer trat, so lag es auf dem Boden herum voll von
Talern. Sie erschrak und stiess mit den Füssen dran herum, ob es wirklich
Taler wären. Sie hörte den Klang, sah deutlich die Gestalt und konnte nichts
anderes denken, als es sei wirklich Geld. Aber woher das Geld? Bei diesem
Gedanken konnte sie nur erschrecken, weil ihr eine solche seltsame Hilfe
nicht göttlich vorkam. Sie trat zur Stube heraus und wieder in die Kammer,
ob sie sich nicht täusche. Aber in der Kammer lag es immer voll von Talern,
während in der Stube nichts zu sehen war.
Indes kam ein vierjähriger
Knabe, zu dem sagte sie:
«Geh einmal in die Kammer;
was du findest, ist dein!" Der kommt zurück und sagte: «Bäsle, ich finde
nichts!" Sie sieht selbst wieder nach, und die Taler waren wirklich wieder
verschwunden. So ging es ihr oft und viel. Aber der geringste Gedanke, einen
solchen Taler auch nur anzurühren, überzog sie mit Grausen; und sie zog es
vor, in der bittersten Armut zu bleiben, als, wie sie sagte, vom Teufel sich
reich machen zu lassen.
Auch in der Zeit, da die
Besitzungen schon angefangen hatten, kamen ihr Versuchungen der Art
entgegen, und noch ehe ich von Obigem wusste, hörte ich die Dämonen aus
ihr sagen: «Dass das Mädle doch nichts annehmen will; wir haben's ihr doch
immer so geschickt hingelegt." Auch der oben erzählte Fund mit
Geldstücken mag Bezug hierauf gehabt haben. Als der Boden der Kammer
aufgedeckt war, glaubte sie immer eine Kapsel zu sehen, aus welcher es mit
lauter Talern schimmere, und sie sagte, sie meine, wir hätten nicht recht
gesucht. Weil die Sage ging, es seien einmal 300 fl. von der früheren
Hausbesitzerin irgendwo gestohlen worden, so konnte man die Möglichkeit,
Geld zu finden, nicht ganz wegwerfen; und wir sahen in ihrem Beisein noch
einmal nach, auch mit der Hoffnung, jenem Spuk ein Ende zu machen. Aber
statt Geld zu finden, fiel sie sogleich, als sie an den Ort hindeutete, in
tiefe Ohnmacht, was deutlich zeigte, dass ein Satansbetrug dahinter steckte.
Sie sollte, mussten wir später denken, dieses Geld heimlich finden und
behalten, wenn der Zweck der Finsternis erreicht werden wollte. Denn
Heimlichkeit und tiefste Verborgenheit war die Macht der Finsternis in
diesem Gebiete. Im Verlaufe war noch öfter von solchem Betrug Satans, Seelen
zu verderben, die Rede; und die Art und Weise, wie eigentliche
Schwarzkünstler, nach den Äusserungen eines Dämons zu schliessen, solches Geld
sich verschaffen oder verschaffen wollten, ist zu schauerlich, als dass ich
es nacherzählen möchte, wiewohl ich mich auch scheue, Nebendinge, die nicht
zum Verständnis meiner Geschichte wichtig sind, anzuführen. Das meiste
überhörte ich in der Regel, weil ich nie ohne weiteres traute; und nur der
in der Folge hervortretende Zusammenhang machte mir manches beachtenswert,
das es mir vorher nicht gewesen war.
So verhielt es sich
auch mit dem Umstande, der jetzt folgte.
Nachdem offenbare
Versuchungen zu abgöttischem Abfall von Gott bei der Gottliebin nichts
fruchteten, zeigte sich die Schlange noch listiger. Sie kam einmal, da es
ihr und den Ihrigen abermals an Lebensmitteln mangelte, beunruhigt und
gedrückt in ihre Stube und sah auf dem Tische zu ihrem Erstaunen einen Ärmel
von einem Mannsherode voll Mehl, nebst einem Sechsbätzner, der oben darauf
in einem Papier eingewickelt lag. Durch das Frühere vorsichtig gemacht,
wurde es ihr abermals unheimlich zu Mute. Wie kam das Mehl herein? Die
Stube war verschlossen, und vom Fenster aus konnte es nicht auf den
Tisch gelegt werden. Dazu machte das sonderbare Behältnis das Geschenk
verdächtig. Als sie nach dem Geld sah, las sie auf dem Papiere die Worte:
«Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid!»
"Nun», dachte sie, jedoch nur, weil sie gerne so dachte, denn ihr
unheimliches Gefühl brachte sie damit nicht hinweg, - "das kann nichts
Unrechtes sein, das brauchst du.» Sie behielt also Geld und Mehl und tat das
nicht ohne Dank gegen Gott, wiewohl sie den Geber trotz allen Nachfragen
nicht entdecken konnte. Dennoch schrieb sie in der Folge diesem Mehl die
meisten Verzauberungen zu, die an ihr hervortraten, wenigstens die
Möglichkeit für noch weitere. Auch wurde es später wirklich von einem Dämon
geäussert, dass es alles Teufelsbetrug gewesen sei und sie dieses Mehl nicht
hätte verbrauchen sollen. Will man dieser in mannigfacher Hinsicht
bedenklichen Sache Glauben schenken, so muss man eine Zulassung annehmen,
welche höhere Zwecke im Auge hatte, und wenn auch der Gebrauch scheinbar
zunächst höchst schädlich war , so konnte er nicht zu eigentlicher Sünde
gerechnet werden, also an und für sich auch nicht zum Verderben führen, weil
der Sinn und Wille redlich blieb. Aber die Glaubensprobe war jetzt um einen
bedeutenden Grad schwieriger geworden.
Diese Vorgänge geben
gewissermassen den Schlüssel zur ganzen Geschichte.
Es handelte sich vorerst um eine Seele, die dem Satan widerstand, obwohl sie
sein Band bereits an sich fühlte. Sie fühlte sich nach der einen Seite, dem
Satanischen, mit einer gewissen Gewalt festgehalten; und ihr Inneres suchte
die andere Seite, das Göttliche. Jenem entwunden zu werden, musste sie Treue
und Glauben beweisen. So entspann sich ein Kampf, der immer weiter
und umfassender wurde, weil auch die Finsternis nicht nachgeben
wollte, und weil auch im satanischen Reiche ein Glied am andern hängt und
alles im engsten Zusammenhang miteinander steht. So konnte, so unscheinbar
auch die Person war, welche Veranlassung dazu gab, doch allmählich die ganze
Hölle aufgeregt, ja der Kampf gar die Ursache werden, dass diese einen nicht
geringen Stoss rücksichtlich ihrer geheimnisvollen Kräfte erlitt.
Nachdem Gottliebin in den
ersten Anfängen Treue und Glauben bewährt hatte, ging die Forderung der
Treue und des Glaubens mehr auf mich über, welche darin bestand, die
Angefochtene um keinen Preis eine Beute der Finsternis werden zu lassen, was
nur damit möglich war, dass ich kein anderes Mittel versuchte als das
Gebet, das an die unsichtbare göttliche Kraft sich hielt. Auf das Leben
der Gottliebin war es von Seiten des Satans beständig abgesehen, und zwar
einmal schon darum, weil das Geheimnis des satanischen Betrugs immer weiter
offenbar wurde, wie es auch schien, als ob das die Dämonen vornehmlich
empört habe, sodann weil die satanische Kraft der Zauberei, die auf dem
geordneten Wege überwunden wurde, nach Wahrnehmungen, die sich mir später
und besonders am Schlusse unwillkürlich und fast gewaltsam aufdrängten,
Gefahr lief, für immer vernichtet zu werden, also eine Entfernung der Person
den finsteren Mächten gewissermassen um ihrer Selbsterhaltung willen immer
notwendiger schien. Was letzteres betrifft, so war es mit Händen zu greifen,
dass jede verborgene Zauberkraft an der Person eigentlich sich erschöpfte.
Um ihr wieder aufzuhelfen,
wie wenigstens möglich schien, wenn sie gestorben, also der weitere Kampf
unterdrückt worden wäre, wurden - man verzeihe mir den Ausdruck - immer
wieder neue Batterien vorgerückt. Weil aber auch mir Mut und Kraft wuchs,
mir selbst weitaus das grösste Wunder, da ich es nur als eine für diesen
Kampf mir unmittelbar gegebene Gnade Gottes ansehen kann -, so wurden auch
sie zu Schanden, und ein Bollwerk der Zauberei um das andere musste
niedersinken, bis endlich der Hauptschlag am Schlusse erfolgte, da
das Haupt aller satanischen Zauberkräfte aufzutreten schien. Ich gebe hier
unerhörte Gedanken; aber der, der mir Schirm und Schild war und der mein
Inneres kennt, weiss es, wie langsam und ungern ich sie fasste und wie schwer
es mir eben um dieser scheinbaren Bedeutung des Kampfes willen geworden ist,
diese schriftliche Darstellung zu geben. Ich konnte sie unmöglich
verschweigen. wenn nicht das Ganze als ein fast sinnloses Rätsel erscheinen
soll.
Die Nachstellungen nach dem
Leben der Gottliebin wurden fast mit jedem Tage schauerlicher. Wie schon
jedes in sie eingeschmuggelte Zauberstück auf ihren Tod zielte, so wurde sie
auch sehr oft zum Selbstmord versucht, jedoch in der Regel, ohne ein
Bewusstsein davon zu haben. Ausser dem, was oben erzählt wurde, erhängte sie
sich einmal im Walde vermittelst ihres Halstuches. Ohne zu wissen, was sie
tat, trug sie Steine zusammen, um hoch genug zu hängen; und das Halstuch
brachte sie künstlich am Baume an. Schon hing sie, - aber das Halstuch
zerriss. und der heftige Sturz brachte sie wieder zur Besinnung. Am gleichen
Abend noch ehe ich etwas davon wusste, hörte ich aus ihr einen Dämon
ausrufen: «Dass das Mädle nicht umzubringen ist; sie hat sich
erhängt und der Strick hat müssen reissen.» Mehr als einmal kamen
förmliche Blutstürze vor. bei welchen sie nicht nur dem Tode nahe, sondern
bisweilen schon dem Tode verfallen schien. Auch bei den Erbrechungen
verschwanden oft auf mehrere Minuten Atem und Puls, und Todeszüge waren in
ihrem Gesicht. Einmal - ich erzähle es lieber vollends, obwohl man hierein
am schwersten sich finden wird - wollte sie, nur halb bei Besinnung, eine
Öffnung in die Haut des Vorderleibes machen, um einer Nadel den Weg zu
bahnen. Sie stach sich mit dem Messer in den Leib; und es tat ihr eigentlich
wohl, mit dem Messer im Leibe zu wühlen, bis der Magen durchstochen war,
worauf dann alle Speise. die sie genoss, an der Magengegend wieder herauskam.
Ihre Freundinnen bezeugten es, und der Arzt sah die Wunde noch zu einer
Zeit, da ihr Anblick ihn von der Wahrheit des Erzählten überzeugen konnte.
Die Wunde konnte zunächst nicht tödlich sein, weil es nicht ihre Tat war,
also göttliche Bewahrung einschritt; sie konnte es aber werden und musste es,
wenn der Glaube nicht auch hierin die Allmacht Gottes ergriffen hätte.
Einmal wurden alle Wunden, auch die letztgenannte, plötzlich wieder
aufgerissen, und die Gefahr war aufs äusserste gestiegen. Ich blieb beim
Glauben, der mich nie zu Schanden machte. Als in grösster Bestürzung ihre
Freundin herbeieilte und meldete, dass jede Minute Verzug gefährlich sei,
stürzte ich, ganz übernommen, in meinem Zimmer auf die Knie nieder und
redete kühne Worte. Diesmal wollte ich - so stark wurde ich im Augenblick -
dem Teufel nicht einmal die Ehre antun, hinzugehen, sondern liess durch die
Freundin sagen, sie solle sich aufmachen und zu mir kommen, sie könne es im
Glauben.
Es stand nicht lange an, so
kam sie die Treppe herauf ; wie es aber mir dabei wurde, kann mir niemand
nachfühlen. übrigens bedurfte es auch hier, wie sonst, etlicher Tage zur
völligen Heilung. Ausser dem vielen, das noch anzuführen wäre, erwähne ich
nur noch die Äusserung eines Dämons, der sich für einen vor 40 Jahren in
Hamburg verstorbenen Arzt ausgab, auch seinen Namen nannte, er habe
nicht weniger als sechs Mass Gift allmählich in sie hineingezaubert. Dies
konnte erklären, dass alles Blut und alle Flüssigkeit, die sie erbrach, einen
scharfen und höchst widrigen Geruch hatte, den ich mit nichts Ähnlichem zu
vergleichen weiss (und der mir nur später bei einem besessenen Knaben, der
sich für vergiftet hielt, wieder vorkam). In allen diesen und ähnlichen
Dingen siegte der Name Jesus, oft nur die Anführung der in Markus 16
enthaltenen Verheissung oder der Spruch in Philipper 2.
12
ersehnte Schluss der Geschichte erfolgte in den letzt verflossenen
Weihnachtsfeiertagen
Der ersehnte Schluss der
Geschichte erfolgte in den letzt verflossenen Weihnachtsfeiertagen
(24.-28. Dezember 1843), da sich alles, was nur je früher vorgekommen war,
noch einmal zusammenzudrängen schien. Das Misslichste war, dass sich in diesen
Tagen die finsteren Einwirkungen auch auf den halbblinden Bruder und eine
andere Schwester, Katharina, ausdehnten, ich also mit dreien zumal den
verzweifeltsten Kampf durchzumachen hatte, wobei deutlich der innere
Zusammenhang zu erkennen war. Den Verlauf des Einzelnen kann ich nicht mehr
erzählen. Es war zu mannigfaltig, als dass ich es hätte im Gedächtnis
behalten können. Aber Tage waren es, wie ich keine mehr zu erleben hoffe;
denn es war soweit gekommen, dass ich sozusagen alles aufs Spiel zu setzen
wagen musste, wie wenn es hiesse: Siegen oder sterben! So gross übrigens auch
meine Anstrengung war, so fühlbar war mir ein göttlicher Schutz, indem
ich nicht die geringste Ermüdung und Angegriffenheit fühlte, selbst
nicht nach vierzigstündigem Wachen, Fasten und Ringen. Der Bruder war am
schnellsten wieder frei, und zwar so, dass er sogleich tätige Hilfe im
Nachfolgenden leisten konnte. Die Hauptsache kam aber diesmal nicht an
Gottliebin, welche im letzten Akt nach vorausgegangenen Kämpfen gleichfalls
völlig frei zu sein schien, sondern an ihre Schwester Katharina, welche
früher nicht das mindeste der Art erfahren hatte, nun aber so rasend wurde,
dass sie nur mit Mühe festgehalten werden konnte. Sie drohte, mich in
tausend Stücke zu zerreissen, und ich durfte es nicht wagen, ihr nahe zu
treten. Sie machte unaufhörliche Versuche, mit eigener Hand, wie sie sagte,
sich den Leib aufzureissen, oder lauerte listig umher, als wollte sIe irgend
etwas Grässliches an denen, die sie hielten, verüben. Dabei raffelte und
plärrte sie so fürchterlich, dass man Tausende von Lästermäulern in ihr
vereinigt sich denken konnte. Am auffallendsten war, dass sie ganz bei
Besinnung blieb, indem man mit ihr reden konnte, sie auch bei scharfen
Ermahnungen sagte, sie könne nicht anders reden und handeln, man möchte
sie doch nur recht festhalten, dass nichts durch sie geschehe. Auch nachher
hatte sie noch an alles, selbst an die grässlichen Mordversuche, bestimmte
Erinnerungen; und diese wirkten so niederschlagend auf sie, dass ich mich
mehrere Tage ihrer besonders annehmen musste, bis nach fleissigem und
ernstlichem Beten ihr die Erinnerungen allmählich schwanden.
Daneben liess sich dennoch
der Dämon aus ihr ebenso bestimmt vernehmen, der sich diesmal nicht als
abgeschiedenen Menschengeist, sondern als vornehmen Satansengel ausgab,
als das oberste Haupt aller Zauberei, dem vom Satan die Macht dazu erteilt
worden sei und durch den dieses Höllenwerk nach den verschiedensten Seiten
hin zur Förderung des satanischen Reiches sich verzweigt hätte, mit dem aber
nun, da er nun in den Abgrund fahren müsse, der Zauberei der
Todesstoss gegeben werde, an dem sie allmählich verbluten müsse.
Plötzlich, gegen 12 Uhr um Mitternacht, war es, als erblickte er den
geöffneten Feuerschlund.
Da dröhnte aus der Kehle des
Mädchens zu mehreren Malen, ja wohl eine Viertelstunde andauernd, nur ein
Schrei der Verzweiflung, mit einer erschütternden Stärke, als müsste das
Haus zusammenstürzen. Grausenerregenderes lässt sich nicht denken, und es
konnte nicht fehlen, dass die Hälfte der Bewohner des Orts, nicht ohne
besonderen Schrecken, Kenntnis von dem Kampfe bekam. Dabei befiel die
Katharina ein so starkes Zittern, dass es war, als wollten sich alle ihre
Glieder voneinander abschütteln. Schien so der Dämon lauter Angst und
Verzweiflung zu sein, so war nicht minder riesenhaft sein Trotz, indem er
Gott herausforderte, ein Zeichen zu tun, und nicht eher auszufahren
vorgab, als bis ein den ganzen Ort erschütterndes Zeichen vom Himmel erfolgt
wäre, damit er nicht so gemein wie andere Sünder seine Rolle niederlegen,
sondern gewissermassen unter Ehren in die Hölle fahren müsse. Solches
schauerliche Gemisch von Verzweiflung, Bosheit, Trotz und Hochmut ist wohl
schwerlich je irgendwo erblickt worden. Unterdessen schien in der
unsichtbaren Welt immer rascher sein erwarteter Untergang vorbereitet zu
werden.
«Jesus ist Sieger! Jesus ist
Sieger!»
Endlich kam der
ergreifendste Augenblick, welchen unmöglich jemand genügend sich
vorstellen kann, der nicht Augen- und Ohrenzeuge war. Um 2 Uhr morgens
brüllte der angebliche Satansengel, wobei das Mädchen den Kopf und Oberleib
über die Lehne des Stuhls zurückbog, mit einer Stimme, die man kaum bei
einer menschlichen Kehle für möglich halten sollte, die Worte heraus:
«Jesus ist Sieger! Jesus ist Sieger!» Worte, die, so weit sie ertönten,
auch verstanden wurden und auf viele Personen einen unauslöschlichen
Eindruck machten. Nun schien die Macht und die Kraft des Dämons mit jedem
Augenblicke mehr gebrochen zu werden. Er wurde immer stiller und ruhiger,
konnte immer weniger Bewegungen machen und verschwand zuletzt ganz
unmerklich, wie das Lebenslicht eines Sterbenden erlischt, jedoch erst gegen
8 Uhr morgens.
Das war der Zeitpunkt, da
der zweijährige Kampf zu Ende ging.
Dass dem so sei, fühlte ich so sicher und bestimmt, dass ich nicht umhin
konnte, am Sonntag, tags darauf, da ich über den Lobgesang der Maria zu
predigen hatte, meine triumphierende Freude merken zu lassen. Es gab
freilich hintennach noch mancherlei aufzuräumen, aber es war nur der Schutt
eines zusammengestürzten Gebäudes. Mit dem halbblinden Bruder, einem
bescheidenen und demütigen, auch christlich sehr verständigen Menschen, der
viel Glauben und Gebetskraft hat, hatte ich fast nichts mehr zu schaffen;
und die an ihn gekommenen satanischen Angriffe sind andern Leuten kaum
bemerklich geworden. Die Katharina hatte noch eine Zeitlang je und je
krampfartige Bewegungen infolge der ausserordentlichen Angegriffenheit des
Gemüts, war aber auch bald wieder völlig hergestellt; und was mit ihr
vorgefallen war, hat, möchte ich sagen, niemand erfahren. Etwas mehreres
stellte sich noch in der nächsten Zeit bei der Gottliebin ein; aber es waren
mehr nur erneuerte, jedoch von selbst misslingende Versuche der Finsternis
mit früherem, die mich weiter nicht viel in Anspruch nahmen. Ja, unter
diesen Nachzüglern geschah es allmählich, dass sie zu einer vollkommenen
Gesundheit gelangte. Alle ihre früheren Gebrechen, die den Ärzten
wohlbekannt waren, wurden ganz aufgehoben, die hohe Seite, der kurze Fuss,
die Magenübel usw. Dabei wurde ihre Gesundheit immer fester und dauerhafter;
und jetzt steht es seit geraumer Zeit mit ihr so, dass sie in jeder Hinsicht
als vollkommen hergestellt, als ein wahres Wunder Gottes angesehen werden
kann. Ihr christlicher Sinn hat auch auf eine erfreuliche Weise zugenommen;
und ihre stille Demut, ihre gediegene und verständige Rede, mit
Entschiedenheit und Bescheidenheit gepaart, macht sie zu einem gesegneten
Werkzeug an vielen Herzen. Was den Wert ihres Charakters am deutlichsten zu
erkennen gibt, ist das, dass mir keine weibliche Person bekannt ist, die mit
so viel Einsicht, Liebe, Geduld und Schonung Kinder zu behandeln wüsste,
weswegen ich bei nötig werdender Aushilfe am liebsten ihr meine Kinder
anvertraue; und wie sie schon im vorigen Jahre zu aller Zufriedenheit
Industrielehrerin gewesen war, wobei ich nur mit dankbarem Erstaunen auf die
bewahrende göttliche Vorsehung zurückblicken kann, infolge deren sie in der
sonst so schweren Zeit auch nicht ein einziges Mal genötigt war, den
Unterricht einzustellen, so konnte ich jetzt, da eine Kleinkinderschule
errichtet werden sollte, keine Person finden, die so geeignet wie sie
gewesen wäre, dieselbe zu übernehmen.
Möttlingen, den 11. August
1844.
Pfarrer Joh. Chr. Blumhardt
Nachschrift
Da nach der Abfassung obigen
Aufsatzes nun schon volle sechs Jahre verstrichen sind, so wird der Leser
begierig sein, zu hören, wie es jetzt mit der Gottliebin stehe. Ich bemerke
einfach, dass dieselbe seit vier Jahren ganz in mein Haus eingekehrt ist, als
die treueste und verständigste Stütze meiner Frau in der Haushaltung und
Kindererziehung, der meine Frau alles ins Haushaltungswesen Einschlagende,
Kleines und Grosses, unbedingt anvertrauen und nach Umständen überlassen
darf. Was sie unserem Hause und allen Personen, die bei uns ein- und
ausgehen, ist, lasse ich andere bezeugen, da ich weiss, dass, wer sie kennen
lernt, nicht versäumt, seine Achtung und Wertschätzung ihrer Person überall
auszusprechen. Mir ist sie namentlich a)Ich für Behandlung von
geisteskranken Personen nahezu unentbehrlich geworden, da dieselben alsbald
das ungernessenste Zutrauen zu ihr bekommen, so dass mein Umgang mit ihnen
nur wenig Zeit erfordert. übrigens ist sie nicht als eine Dienstperson bei
uns, da ihre Dankbarkeit sich für das, was sie für uns tut, nicht will
bezahlen lassen, sondern sie betrachtet und fühlt sich als von uns an Kindes
Statt angenommen, was nun auch mit ihrer Schwester Katharina und dem
erwähnten halbblinden Bruder der Fall geworden ist.
Möttlingen, den 31. Juli
1850.
Pfarrer loh. Chr. Blumhardt
Wer Interesse an der
gedruckten Version dieses Aufsatzes von Pfr. Joh. Chr. Blumhardt hat, kann
ihn bei uns anfordern
(5 Euro, plus Porto). – Wir
werden unser bestes versuchen, die gewünschten, gedruckten Exemplare
(solange vorrätig) zu beschaffen und zuzusenden.
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