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Aus dem Vorwort.
DES
ÜBERSETZERS zum Buch „Gesammelte Schriften“ lesen wir:
Der indische Christus-Zeuge
Sadhu Sundar Singh (1889 bis 1929) ist durch seine Schriften in der ganzen
Christenheit bekannt geworden. Seine nicht-christliche Jugend sowie seine
Berufung durch eine Christus-Erscheinung hat er in der letzten der hier
vorgelegten Schriften selbst geschildert. Als Wandermönch durch Indien
ziehend, aber auch auf seinen Reisen im Ausland, bis nach Europa hin, hat er
als Herzstück seiner Botschaft Christus verkündigt. In Europa wurden seine
Ansprachen mitgeschrieben und gedruckt. Diese Hefte enthalten aber nichts
anderes, als was die vorliegenden Schriften geben. Deshalb sind sie hier
außer Betracht geblieben.
Über das Ende des Sadhu ist
nichts Gewisses bekannt. Er hatte sich, trotz schwacher Gesundheit, nochmals
in die tibetischen Berge auf den Weg gemacht. Ob er Märtyrer geworden, ob er
verunglückt oder an Krankheit gestorben ist, das kann niemand sagen.
Die vorliegende Ausgabe
bringt die sechs Schriften, die Sundar Singh auf Englisch veröffentlicht
hatte. Die Erläuterungen sind seit der 7. Auflage erheblich vermehrt worden.
Im Anhang sind Darlegungen über die Textgeschichte sowie über die
Sundar-Singh-Literatur hinzugekommen. Damit ist so etwas wie eine
abschließende Gedenk-Ausgabe erreicht worden.
Friso Melzer Dr. phil. Dr.
theol.
Die Titel der Schriften
lauten – sie sind im Buch „Gesammelte Schriften“ enthalten :
-
Zu des Meisters Füssen -
-
Wirklichkeit und Religion
– Innerungen über Gott, Mensch und Natur
-
Das Suchen nach der
Wirklichkeit – Gedanken über Hinduismus, Buddhismus, Islam und Christentum
-
Betrachtungen über
verschiedene Seiten des geistlichen Lebens
-
Gesichte der Geisterwelt –
Eine kurze Beschreibung des Geisteslebens, seiner verschiedenen
Seinszustände und des Schicksals guter und böser Menschen, wie es in
Gesichten geschaut wurde.
-
Mit und ohne Christus –
Vorfälle aus dem Leben von Christen und Nichtchristen, die den Unterschied
zeigen zwischen einem Leben mit Christus und einem Leben ohne Christus
Und im Anhang finden sich
Erläuterungen zu
a)
Die indische Eigenart
der ersten Schrift
b)
Zum Verständnis der
fünften Schrift
c)
Zur Textgeschichte
d)
Schrifttum über Sadhu
Sundar Singh
e)
Zukünftige Aufgaben.
- - - - - - - - - - - - - -
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- -
Einiges aus seinem Buch publizieren wir auf diesem Internet-Bereich –
klicken Sie den entsprechenden ‚botton’ an und nehmen Sie eine Leseprobe.
Das Buch „Gesammelte Schriften von Sadhu Sundar Sing“ (von Friso Melzer)
ist nach wie vor lieferbar (es umfasst 6 seiner bekanntesten Schriften,
deren Titel oben erwähnt sind, und kann in guten Buchhandlungen oder bei
SGFL, 4016 Basel, Postfach 538 bestellt
werden)
Zuerst zeigen wir Ihnen die Einleitung des Buches von Bischof Appasamy
– hernach die Verzweiflung des jungen, 15 jährigen Sundar Singh und
seine Errettung. Dann fügen wir jenen Abschnitt an über den Besuch von
Sadhu Sundar Singh in der Schweiz:
.....wo die Fabriken um 3 Uhr geschlossen wurden, um den Arbeitern eine
Möglichkeit zu geben, den Sadhu zu hören...
.....daß ein Extrazug Hunderte aus Tramelan gebracht hatte; selbst die
Güterwagen seien besetzt gewesen.--
A. P.
Appasamy
Bischof von Coimbatore (Indien)
Beschreibt
Sadhu Sundar Singh
In
seinem gut 300 seitigen Buch / Lebenslauf in der Einleitung folgendes:
Einleitung
War
Sadhu Sundar Singh eine vorübergehende Modeerscheinung, oder ist er eine
Gestalt innerhalb der christlichen Kirche, die noch in vielen kommenden
Generationen lebenweckend wirken wird ?
Viele, die mit seinem Leben und Werk vertraut sind, werden Königin
Wilhelmina ( die 50 Jahre lang Hollands Regentin war) in ihrem Urteil über
Sundar Singh zustimmen. Sie schrieb in einem Brief an mich am 24. Oktober
1949: «Ich bin ihm nie begegnet, ich kenne ihn nur durch seine Bücher und
durch die Bücher über ihn. Ich gehöre zu denen, die tief beeindruckt sind
von seinem Leben und seiner Lehre, und ich bin überzeugt, daß er durch
seine brennende Liebe für Christus und Seinen Frieden eine wirkliche Hilfe
für mich bedeutete in den schlimmsten Zeiten der schrecklichen Katastrophe
des letzten Krieges. Sundar Singh war wirklich keine vorübergehende
Modeerscheinung, sondern ein Mann, dessen Beispiel und Lehre niemals in
Vergessenheit geraten sollte.» Ich begegnete Sundar Singh zum erstenmal in
Oxford am 22. Februar 1920 im Gemeinschaftshaus der «Cowley Väter».
Ich
war damals nach meinem Studium an der Universität mit einer Arbeit über
den Heiligen Johannes und die Hindu Bhakti Dichter beschäftigt. Ich hatte
keine Gelegenheit gehabt, Sundar Singh in Indien kennenzulernen, denn er
war dem Fundschab zugehörig und arbeitete im Himalaya und in Nordindien
bis 1917, meine Heimat aber war in Falamcottah im südlichen Indien, nicht
weit vom Cap Comorin entfernt.
Schon einige Jahre lang übte die Mystik eine starke Anziehungskraft auf
mich aus. Während meiner Studienzeit in Amerika war mir allwöchentlich die
Zeitschrift «Der christliche Patriob> aus Madras zugeschickt worden mit
flammenden Berichten über Sundar Singhs Arbeit in Indien, in Ceylon und im
Fernen Osten. Ich war, wie andere indische Christen auch, beeindruckt
durch diese Berichte über einen indischen Prediger, der sowohl durch sein
Leben als auch durch seine Lehre die Inder in besonderer Weise ansprach.
Ich suchte daher Sundar Singh bald nach seiner Ankunft in Oxford auf und
fragte ihn an, ob er während der Woche seines Aufenthaltes (vom 22. bis
28. Februar 1920) bei einigen Zusammenkünften eine Ansprache halten würde.
Er ging bereitwillig darauf ein, denn die Auslegung des Wortes bedeutete
ihm das Höchste seiner Arbeit für Christus, und er war immer bereit,
andere teilhaben zu lassen an den reichen Erfahrungen, die ihm aus seiner
Verbindung mit dem lebendigen Christus erwuchsen. Ich hörte alle seine
Ansprachen in Oxford, ich hatte verschiedene Unterredungen mit ihm über
sein inneres religiöses Leben, und ich machte mir über alles, was er
sagte, sorgfältige Notizen.
Mein
Lehrer, der hervorragende Theologe Canon B. H. Streeter, und ich machten
Sundar Singh danach klar, daß eine ständige Berichterstattung über seine
Lehre von Wert sein würde, und da er diesem Plan zustimmte, verbrachte ich
vierzehn Tage mit ihm in London und Paris und war auch bei Unterredungen,
die er mit verschiedenen bedeutenden Personen führte, zugegen, so z. B.
beim Erzbischof von Canterbury und Baron F. H. von Hügel. Canon Streeter
hörte auch mehrere seiner Ansprachen und unterhielt sich in langen
Gesprächen mit ihm. Daraufhin arbeiteten wir beide während eines Jahres an
einer Studie über Sundar Singhs Leben und Werk; sie erschien unter dem
Titel «Der Sadhu». (Diese Veröffentlichung fand einen Leserkreis in der
ganzen Welt und erlebte immer neue Auflagen. Sie wurde auch in
verschiedene europäische
Sprachen und solche anderer Länder übersetzt. Gegenwärtig jedoch ist
dieses Werk vergriffen. Das Buch erschien in Amerika unter dem Titel «The
Message of Sadhu Sundar Singh». ) Als Sadhu Sundar Singh 1922 die
Schweiz besuchte, war ich in Lausanne und Genf bei seinen
Ansprachen anwesend.
Nach
seinem zweiten Besuch in Europa im Jahre 1922 gebot seine Gesundheit ein
energisches Halt. Fortan war Subathu der Ort, dahin er sich zwischen
seinen Reisen zur Erholung zurückzog. Subathu liegt 4000 Fuß (ca. 1300 rn)
hoch und 10 Meilen von Dharampur entfernt an der Bahnlinie nach Simla.
Ich
besuchte Sundar Singh 1923 und 1928 und verlebte jeweils eine Woche mit
ihm. Außer diesen persönlichen Begegnungen verband uns noch ein
gelegentlicher Briefwechsel.
Als
«Der Sadhu» geschrieben wurde, war Sundar Singh selbst unsere
hauptsächlichste Informationsquelle. Daneben hatten wir zwei Bücher zur
Verfügung, betitelt «A Lover of the Cross» und «Soul-Stirring Messages»
von Alfred Zahir. Für die wichtigsten Begebenheiten seines Lebens
benützten wir Mrs. Parkers Buch «Sadhu Sundar Singh, Called of God».
Auch
studierten wir eifrig einige Rapporte über seine Ansprachen. Wir benützten
auch ein Memorandum, das für uns geschrieben wurde durch Baron von Hügel.
Unser Plan war, nicht eine Biographie von Sundar Singh zu verfassen,
sondern sein Innenleben zu beschreiben, die hauptsächlichsten Elemente
seiner Lehre hervorzuheben und den Wert seines Lebens sowie seiner Lehre
im Lichte der modernen Psychologie zu beleuchten.
Heute steht viel neues, zum Teil erstaunliches Material zur Verfügung zu
vertiefter Auseinandersetzung mit Sundar Singh. Ich möchte diese
Informationsquellen hier angeben.
Bevor Sundar Singh an die Öffentlichkeit trat, schrieb er in den Jahren
1912 bis 1917 eine Serie von Briefen in Urdu, Rechenschaftsberichte über
seine Arbeit, für eine christliche Zeitschrift namens ,Nur Afshan.. Eine
englische übersetzung der ,Nur Afshan-Briefe' ist heute in der
Zentralbibliothek in Zürich im Depositum zugänglich. Durch das
Entgegenkommen des Direktors jener Bibliothek war es mir möglich, diese
Blätter zu Rate zu ziehen.
Eine
kurze Chronik seiner Reisen, die Sundar Singh in Urdu schrieb und die nur
einmal gedruckt erschienen ist, kam nun ans Licht. Mrs. Parker hat dieses
Reisetagebuch übersetzt.
Dutzende von Briefen, die Sundar Singh an seine Freunde sandte, wurden mir
zugeschickt. Es waren meist keine langen Briefe, keine Beschreibungen,
weder der äußeren noch der inneren Begebenheiten seines Lebens. Aber er
war ein Briefschreiber, der versuchte, die vielen Briefe, die ihn
erreichten, wirklich zu beantworten. Ihrer einige werfen, obwohl sie nur
kurz sind, interessante Streiflichter auf sein Innenleben, wie auch auf
alle seine öffentlichen Tätigkeitsgebiete. Eine Reihe von Briefen, die er
nach dem Studium der Schriften Swedenborgs an einen Freund in Amerika
(Rev. Goddard) über das zukünftige Leben schrieb, sind von besonderem
Interesse.
Zwischen 1921 und 1928 schrieb er sechs kleine Andachtsbücher: «At the
Masteis Feet”, «Reality and Religion”, «The Search after Reality»,
«Meditations on various Aspects of the Spiritual Life», «Visions of the
Spiritual World», und «With and Without Christ”.
Diese Bücher gewähren
intime Einblicke in seine geistige Entwicklung und enthalten viele seiner
schönen Gleichnisse. Obwohl sie klein sind, fanden sie weiteste
Verbreitung und wurden noch vor seinem Tode in vierzig Sprachen übersetzt.
In
Sundar Singhs Heim in Subathu fand man mehrere Zeitungsausschnitte über
seine Versammlungen, insbesondere von seiner ersten Reise in Europa. Dabei
waren auch zahlreiche Briefe von Menschen aus verschiedenen Erdteilen, die
ihn um geistige Führung baten. Diese werden in unserem Buch als ,Subathu-Schriften.
bezeichnet. Viel Dank schulde ich dem Bevollmächtigten des ,Sadhu Sundar
Singh-Stipendienfonds', der mir diese Dokumente zur Verfügung stellte.
Viele Freunde Sundar Singhs sind noch am Leben. Sie sandten mir ihre
Erinnerungen und Zeitungsausschnitte über sein Werk. Einige dieser
Erinnerungen sind von besonderer Wichtigkeit. Vincent S. David, ein
führender Laie der Diözese von Bombay, gehört zu denen, die durch Sundar
Singh tief beeinflußt wurden. Er begleitete den Sadhu bei mehreren
Gelegenheiten als sein Dolmetscher und besuchte ihn auch in Subathu. Seine
Erinnerungen seien so vielfältig, gestand er mir, daß er nicht in der Lage
sei, sie niederzuschreiben. Er bat mich, zu ihm nach Bombay zu kommen,
damit ich selbst notieren könne, was er mir erzählen würde. So reiste ich
denn zu ihm, und Mr. David, der über ein ungewöhnlich klares Gedächtnis
verfügt, diktierte mir viele interessante Begebenheiten. Wir dürfen jedoch
nicht außer acht lassen, daß diese Erinnerungen dreiunddreißig Jahre
zurück liegen und es daher durchaus möglich ist, daß sich in seinem
Gedächtnis manches verwischte.
In der Schweiz wurden 1922 die sorgfältigsten Vorbereitungen getroffen für
Sundar
Singhs Reise. In keinem anderen Lande waren die Anordnungen so umsichtig
durchdacht. Wo immer er hinkam, sprach er vor großen Versammlungen,
und während der meisten Mahlzeiten war er umgeben von Gruppen von Hörern;
einmal waren es ihrer achtundzwanzig. Miß Goodwin, eine eigens angestellte
Stenotypistin, die mit seiner Gruppe reiste und alle seine Ansprachen
wie auch die Antworten auf die ihm gestellten Fragen aufschrieb,
tat ihre Arbeit sehr gewissenhaft und führte daneben ein ausführliches
und durchaus objektives Tagebuch, das alle kleinen Ergebnisse und Aussagen
enthielt, die ein Licht auf des Sadhu Charakter werfen konnten. Selbst ein
freies Gebet, das zu sprechen er einmal aufgefordert wurde, notierte sie
in ihrem Notizbuch. Es war ein wunderschönes Gebet, und wir sind dankbar,
daß es uns erhalten ist.
Es
wäre jedoch sehr beschwerlich gewesen für Sundar Singh, Stunde um Stunde
unter der Belastung solcher Publizität zu leben.
Die
Stenogramme seiner Ansprachen wurden später ins Französische übersetzt und
veröffentlicht unter dem Titel «Par Christ et pour ChrisT“. Pasteur
Secretan verfaßte das Vorwort dazu mit einer lebendigen Schilderung der
Schweizerreise des Sadhu. Sowohl das Tagebuch von Miß Goodwin wie auch
die englischen Stenogramme der Ansprachen, die Fragen, die ihm gestellt
wurden, seine Antworten und das französische Buch «Par Christ et pour
Christ“ sind erhältlich und liefern reiches Material für einen Überblick
über Sundar Singhs Wirken in der Schweiz.
Im
Jahre 1940 schrieb Mademoiselle Alice van Berchem eine Biographie Sundar
Singhs, betitelt «Un Temoin du Christ“.
Neben einem sorgfältigen Überblick über Leben und Werk enthält es einiges
neue Material von seinem Wirken in der Schweiz. Erzbischof Söderblom von
Uppsala, der große Religionsgelehrte Schwedens, schrieb zwei schwedische
Bücher über Sundar Singh, «Tre Livsformer» und «Sundar Singhs Budskap».
Diese Bücher enthalten eine selbständige Wertung Sundar Singhs und einige
Erinnerungen an seinen Besuch in Schweden. Ich schulde Pfarrer B. Fr.
Tiliander Dank für sein sorgfältiges Lesen und Übersetzen der Stellen, die
wir in diesem Buch angeführt haben.
C.
F. Andrews, der Sundar Singh in seiner Jugend gut kannte, verfaßte das
Buch «Sadhu Sundar Singh, A Personal Memoir», das von großem Wert ist für
das Verständnis Sundar Singhs.
Selbst zur Mystik neigend, gelingt es C. F. Andrews, das Innenleben des
Sadhu mit großer Klarheit darzustellen. Seine literarische Begabung, seine
schriftstellerische Erfahrung und sein tiefes Innenleben als Christ ließen
ihn ein bemerkenswert gutes Porträt Sundar Singhs entwerfen.
Rev.
T. E. Riddle, der Sundar Singh von 1912 bis zu seinem Tode kannte und ihm
bei der Übersetzung von vier kleinen Andachtsbüchern aus dem Urdu ins
Englische behilflich war, schrieb in der Zeitschrift «The United Church
Review» von 1946 eine Serie von neun Artikeln, die als eine weitere
Würdigung Sundar Singhs aus naher Gemeinschaft während langer Jahre von
großern Wert sind. Diese Artikelserie ist nun in Neuseeland mit Hilfe der
Presbyterianischen Kirche und deren Übersee-Komitee als Buch
herausgekommen.
Nach Sundar Singhs Rückkehr
von seiner zweiten Europareise im Jahre 1922 brach eine heftige Kontroverse
aus betreffs seiner Glaubwürdigkeit. Die römischen Katholiken konnten es
nicht fassen, daß es einen Mann seines Formates außerhalb ihrer Kirche geben
sollte. Liberale Protestanten waren durch die vielen Wunder, die er aus
seinem Leben berichtete, verstimmt; römische Katholiken und liberale
Protestanten reichten sich die Hand und prüften jede Begebenheit seines
Lebens mit peinlicher Sorgfalt. Sundar Singh war kein Historiker; er führte
auch kein Tagebuch. Er erzählte immer wieder aus der Erinnerung seine
Erlebnisse, um Gottes rettende Macht zu beweisen.
Vater Hosten schrieb eine
Anzahl überaus aggressiver Artikel im «Catholic Herald of India», in denen
er Sundar Singh als Betrüger darstellte.
Dr. Pfister, ein
protestantischer Pfarrer der Schweiz, verbreitete in deutscher Sprache ein
Buch, betitelt «Die Legende Sundar Singh», darin er erklärte, daß die
Wunder, die der Sadhu erlebt zu haben glaubte, nichts anderes seien als
seine eigenen subjektiven Einbildungen. Professor F. Heiler schrieb drei
deutsche Bücher über Sundar Singh. «Sadhu Sundar Singh, ein Apostel des
Ostens und Westens» ist jetzt in englischer Sprache erhältlich unter dem
Titel «The Gospel of Sadhu Sundar Singh». Dieses Buch, das vor der
Kontroverse verfaßt worden war, ist eine sorgfältige Studie über das Leben
Sundar Singhs, mit interessanten Vergleichen und Gegenüberstellungen mit
großen Heiligen der christlichen Kirche, wie Franziskus, Augustin, Thomas a
Kempis und an-
deren. Als die
Aufrichtigkeit des Sadhu in Frage gestellt wurde, schrieb Prof. Heiler ein
weiteres Buch, «Apostel oder Betrüger?» betitelt. Auch sandte er ein
Rundschreiben an alle, die persönlichen Kontakt mit dem Sadhu gehabt hatten,
und bat sie um Auskunft. Das auf diese Weise gesammelte Material und Prof.
Heilers Folgerungen sind heute unter dem Titel «Die Wahrheit über Sundar
Singh» erhältlich. Diese drei Bücher lieferten mir viel Stoff für meine
Biographie.
Pastor Gabler, der als
Lutheraner in Südindien arbeitete, schrieb 1937 eine deutsche Dissertation
über Sundar Singh zu Handen der theologischen Fakultät der Universität
Leipzig. Er prüfte alle Bücher der Feinde Sundar Singhs wie auch die seiner
Freunde mit minuziöser Genauigkeit und kam zum Schluß, daß Sundar Singh
manche Unwahrheiten gesagt hat, daß aber Gottes Gnade trotzdem auf ihm ruhte
und sein Dienst fruchtbringend war. Ich kann diese Ansicht nicht gutheißen
aus Gründen, die ich im Kapitel «Das Leben in Subathu» darlege.
Pastor Gablers These umfaßt
in kleinem Druck 172 Seiten, dazu auf 16 Seiten eine Aufzählung der Bücher
und Schriften von und über Sundar Singh, sowie Notizen von nahezu 100
Seiten. Dieses ganze Material war mit peinlichster Gründlichkeit gesammelt
worden. Pastor Gabler ist immer bemüht, fair und unparteiisch zu sein in
seiner Beurteilung; da er aber keinen persönlichen Kontakt mit Sundar Singh
gehabt, irrt er sich in fataler Weise in vielen seiner Folgerungen. Dennoch
ist sein Buch eine Informationsquelle für die Biographen des Sadhu.
Es wäre an der Zeit, die
Erzählungen jener Männer und Frauen zu sammeln, deren Leben durch die
Begegnung mit Sundar Singh eine Veränderung erfuhr. Tausende waren tief
beeindruckt durch das, was er sagte und tat, und ihr Glaube vertiefte sich
durch das Hören seiner Ansprachen und das Lesen seiner Bücher. Meine
Umfragen der letzten sieben Jahre zeigten deutlich, daß es auch Männer und
Frauen gab, deren ganzes Leben durch das Werkzeug Sundar Singh verwandelt
worden war. Es hält schwer, ihre genaue Zahl festzustellen, teils weil des
Sadhu Wirken sich über viele Länder erstreckte, teils weil viele dieser
Menschen in bezug auf die tiefsten geistigen Erlebnisse ihres Innern
zurückhaltend sind und sich scheuen, sie der Veröffentlichung preiszugeben.
Als das Christentum in
verschiedenen Ländern, die im Besitz eigener Philosophie und Kultur waren,
Wurzel faßte, empfingen gewisse Elemente der Lehre neue Betonung. Die
Botschaft Jesu Christi geht die ganze Welt an. Ihr Reichtum ist so groß, daß
in den verschiedenen Nationen der oder jener Wesenszug des Evangeliums
besonders hervortritt. Wir sprechen heute immer von einer weltumfassenden
Kirche. Wir sind überzeugt, daß die Leistungen einzelner Nationen, die Jesus
Christus dargebracht werden, für die gesamte Kirche von großem Wert sind. So
haben einige der edelsten Züge der indischen Seele, die auch in Sundar Singh
offenbar wurden, durch die Berührung mit Jesus Christus neue Schönheit
gewonnen.
Die riesigen Menschenmengen,
die sich zusammenfanden, um Sundar Singh zu hören, und die weite Verbreitung
seiner Bücher sind ein Beweis, daß er durch Gottes Vorsehung eine klare
Botschaft für die weltweite Kirche hatte. Weil er ein demütiger Nachfolger
Christi und echter Inder war, sind sein Leben und seine Lehre von großer
Bedeutung.
Zahlreich sind die Freunde,
die mir halfen, dieses Buch zu schreiben. Gerne würde ich ihnen allen danken
für ihr rasches und großzügiges Eingehen auf meine Bitten um Erinnerungen,
Briefe, Vortragsbesprechungen und anderes mehr. Im besonderen bin ich Prof.
Heiler für das wertvolle Material, das er mir sandte, verpflichtet. Mrs.
Söderblom überließ mir Kopien der zuständigen Korrespondenz aus des
Erzbischofs Archiven; Rev. A. H. Popley und Dr. M. P. Davis sandten mir
Originale zum Studium. Rev. M. C. Langton übersetzte die wichtigsten SteIlen
des französischen Buches «Par Christ et pour Christ“;
Dr. P. E. Burckhardt, Frl.
Biberstein und Pfr. Hans Zimmermann haben alles für das Buch Notwendige aus
dem Deutschen ins Englische übersetzt. Mr. Senaud und Pasteur de Rougemont
ließen mir alle Zeitungen zukommen, die mit Sundar Singhs Besuch in der
Schweiz in Zusammenhang stehen. Sri S. J. Duraiswamy, der Generalsekretär
der Nationalen Missionsgesellschaft in Madras, sandte mir Abschriften aller
Artikel über Sundar Singh in der Zeitung «National Missionary Intelligencer».
Vater Lazarus von der Russisch-Orthodoxen Kirche las das Manuskript durch
und schlug einige Verbesserungen vor.
Allen diesen Freunden möchte
ich hier meinen warmen Dank aussprechen.
Die Leser dieses Buches, die
noch im Besitz von Rezensionen von Vorträgen Sundar Singhs oder von Artikeln
seiner Hand sind, bitte ich, mir diese zu senden, damit ein neues Buch über
seine Lehre geschrieben werden kann.
Coimbatore, 31. Juli 1956
A. I. Appasamy
Aus dem
Leben des jungen Sadhu (Seiten 22 – 24)
Die Verzweiflung des
jungen Sadhu (15 jährig) und sein einmaliges Erlebnis...
was gegen mein Gewissen oder
gegen den Willen meiner Eltern wäre.
Kurze Zeit darauf starb
meine Mutter und wenig später auch einer meiner Brüder. Dieser Bruder war
mir in seinem Wesen sehr ähnlich gewesen. Der Verlust dieser beiden
Geliebten war eine tiefe Erschütterung für mich; irn besonderen stürzte mich
der Gedanke, daß ich sie nie wieder sehen würde, in tiefe
Niedergeschlagenheit, ja in Verzweiflung, denn ich konnte nicht wissen, in
welcher Form sie wiedergeboren würden, noch konnte ich erraten, was ich
selbst in meiner nächsten Wiedergeburt sein würde. In der Hindu-Religion ist
der einzige Trost für ein gebrochenes Herz, daß es sich seinem Schicksal
unterwerfen und dem unausweichlichen Gesetz des Karma beugen müsse.»
(Aus ,With and Without
Christ'.)
Wir lassen nun Sundar Singh
die Geschichte seiner Bekehrung erzählen:
«Ich wurde zu meiner
weltlichen Erziehung in eine Elementar schule geschickt, die durch die
amerikanische Presbyterianische Mission in unserem Dorf Rammpur eröffnet
worden war. Damals hatte ich so viele Vorurteile gegen das Christentum, daß
ich mich weigerte, in der täglichen Bibelstunde die Bibel zu lesen. Mein
Lehrer bestand jedoch darauf, daß ich teilnehmen müsse; mein Widerstand war
aber derart groß, daß ich irn nächsten Jahr die Schule verließ und während
einiger Monate eine Staatsschule irn drei Meilen entfernten Sanewal
besuchte.
Bis zu einem gewissen Grad
fühlte ich mich durch die Lehre des Evangeliums und die Liebe Gottes
angezogen, hielt aber noch immer alles für falsch und verharrte daher in
meiner Ablehnung. Ich war meiner Meinung so sicher und dabei doch so stark
beunruhigt, daß ich eines Tages in Gegenwart von Vater und Mutter ein
Evangelium zerriß und verbrannte. Obwohl ich damals glaubte, eine
gute Tat getan zu haben, nahm die Unruhe meines Herzens zu, und während der
zwei folgenden Tage fühlte ich mich sehr elend. Am dritten Tage, als ich es
kaum noch aushalten konnte, stand ich um drei Uhr morgens auf, nahm mein Bad
und betete, daß wenn es überhaupt einen Gott gäbe, möge er sich mir
offenbaren und mir den Weg zum Heil zeigen und meiner Seelennot ein Ende
bereiten. Sollte auf dieses Gebet keine Antwort erfolgen, war ich fest
entschlossen, vor Tagesanbruch zur Bahnlinie zu gehen und bei der
Einfahrt des Frühzuges meinen Kopf auf die Schienen zu legen.
Ich verharrte bis halb fünf
Uhr betend und in
der Erwartung, Krischna oder Buddha oder eine andere Avatar (Inkarnation)
der Hindu-Religion zu sehen. Sie erschienen nicht, aber nach und nach
wurde mein Zimmer von einem Licht erhellt.
Ich öffnete die Tür, um zu
sehen, woher dieses Licht käme, doch draußen war alles dunkel. Als ich ins
Zimmer zurücktrat, nahm das Licht an Intensität zu und formte sich zu einer
Lichtkugel über dem Boden, und in dieser erschien- nicht eine Gestalt, die
ich erwartet hatte, sondern der lebendige Christus, den ich tot geglaubt
hatte. In alle Ewigkeit werde ich Sein herrliches und liebevolles
Antlitz nicht vergessen, noch die Worte, die Er an mich richtete: ,Warum
verfolgst du mich? Siehe, ich bin am Kreuz für dich und die ganze Welt
gestorben.' Diese Worte brannten sich mir mit Blitzesschärfe ins Herz,
und ich fiel vor Ihm zu Boden. Mein Herz füllte sich mit unaussprechlicher
Freude und Frieden, und mein ganzes Leben war mit einemmal vollkommen
verändert. Der alte Sundar Singh starb, und ein neuer Sundar Singh wurde
geboren, um dem lebendigen Christus zu dienen.
Nach einer Weile ging ich zu
meinem Vater, der noch schlief. Ich erzählte ihm von der Erscheinung und
sagte, daß ich nun Christ sei; er antwortete jedoch nur: ,Wovon redest du?
Erst vor drei Tagen
verbranntest du ihr Buch. Geh schlafen, dummer Junge !' Und damit wandte er
sich wieder ab. Später erzählte ich der ganzen Familie, was ich gesehen
hatte und dass ich nun Christ sei. Einige hielten mich für von Sinnen,
andere sagten, ich träume; als sie aber einsahen, daß ich nicht
umzustimmen war, verfolgten sie mich. Die Verfolgung jedoch war
nichts im Vergleich mit der schrecklichen Unruhe, die ich gelitten
hatte, als ich ohne Christus war; und es fiel mir nicht schwer, die Nöte und
Verfolgungen zu ertragen, die nun begannen.» Die Vision von Christus, die
Sundar Singh am 18. Dezember 1904 erlebte, veränderte sein Leben von
Grund auf. Von jenem Tage an wurde er ein glühender Jünger des Herrn Jesus
Christus und suchte seine Botschaft nah und fern zu verkünden. Immer wieder
schilderte er in seinen Ansprachen die erlebte Vision. Seine Kritiker
sammelten diese Erzählungen, die er zu verschiedenen Zeiten wiedergegeben
hatte, und wiesen auf Widersprüche hin. Einige gingen so weit zu behaupten,
er habe alles erfunden. Wieder andere sprachen von einem rein subjektiven
Erlebnis. Solchen Kritikern antwortete Sundar Singh stets, daß er nicht
erwartet hatte, Jesus Christus zu sehen.
Es hätte ihn nicht erstaunt,
Krischna oder Buddha zu schauen, aber die Erscheinung Christi war wie ein
Blitz aus heiterem Himmel; sie überraschte ihn vollkommen. (Aus Pastor
Gabler ,Sadhu Sundar Singh. S. 44-46. ) Ich habe diese Schilderungen
wiedergegeben, wie Sundar Singh sie niederschrieb, wenn auch erst im Jahre
1928, also 24 Jahre später. Während der Ansprachen vor riesigen
Menschenmengen, besonders im Laufe seiner evangelistischen Rundreisen in
verschiedenen Teilen der Erde, konnte er seine Worte nicht so sorgfältig
wählen, wie das in der Stille seines Zimmers möglich war. Auch unterlaufen
wohl den Reportern mancl1e Fehler. Aus diesem Grunde gab ich der eigenen
Niederschrift Sundar Singhs den Vorzug. ....
Kaptiel XIII. Sadhu Sundar Singh (Seiten 210 – 225)
In der
Schweiz 1922
.... die Fabriken um 3 Uhr
geschlossen wurden, um den Arbeitern eine Möglichkeit zu geben, den Sadhu zu
hören.. .
.... daß ein Extrazug
Hunderte aus Tramelan gebracht hatte; selbst die Güterwagen seien besetzt
gewesen...
Als Sundar Singh von Tibet
nach Indien zurückgekehrt war, tat sich ihm ein Weg auf in die Schweiz. Er
wurde auch aufgefordert, auf seinem Wege dorthin Palästina zu besuchen.
Bevor er jedoch Indien
verließ, erhielt er eine Einladung, Mahatma Gandhi in seinem «Aschram»
aufzusuchen. Als er dort eintraf, bat Gandhi ihn zu berichten, unter welchen
Umständen er Christ geworden. Gandhi hegte immer die Befürchtung, daß viele
Leute sich der christlichen Kirche aus ökonomischen und sozialen Gründen
anschlössen und nicht aus tieferen geistigen Beweggründen. Die Erzählung
Sundar Singhs von seiner Bekehrung machte auf Gandhi einen so tiefen
Eindruck, daß er den Sadhu bat, sie beim Morgengebet am folgenden Tage vor
den Gliedern seines «Aschram» zu wiederholen.
Am 29. Januar 1922 verließ
Sundar Singh Indien an Bord der ,Caledonia., um nach Palästina zu reisen.
Dort war er bei Sir William Willcocks, dem Erbauer des großen Assuan-Dammes
in Ägypten, zu Gast. Sir William hatte das Buch ,Der Sadhu' gelesen und
großes Interesse an Sundar Singh gewonnen.
Er bestand darauf, den Sadhu
persönlich in seinem privaten Wagen durch Palästina zu führen, zum Dank für
die Segnungen, die er durch das Buch erfahren hatte.
Sie blieben während einer
Woche in Jerusalem, von wo Sir William den Sadhu in täglichen Ausflügen an
einige interessante Orte führte. So besuchten sie Bethanien, Bethlehern und
Hebron, Jericho, das Tote Meer und den Jordan. Der Bischof von Jerusalem
ersuchte den Sadhu, in der Hauptkirche zu predigen, aber dieser erklärte, er
sei nach Jerusalem gekommen, um zu lernen, nicht um zu lehren. Der Bischof
gab mit Bitten jedoch nicht nach, und so hielt denn Sundar Singh eine
Ansprache in der Hauptkirche. Sir William geleitete ihn hierauf über Sichern
nach Nazareth und an das Galiläische Meer, wo sie Tiberias, Kapernaum und
andere Orte besuchten.
Die Arbeit des Sadhu in der
Schweiz erwies sich durch den ständigen Druck der Publizität um vieles
anstrengender als in den andern Ländern, die er besucht hatte. Schon bei
seiner Ankunft fühlte er sich sehr müde, und sein Sekretär klagte, die erste
Ansprache sei ein Mißerfolg gewesen. Sundar Singh arbeitete während mehrerer
Wochen auf dem Kontinent in ständiger Anspannung, und dies war der Beginn
seines gesundheitlichen Zusammenbruchs, von dem wir später ausführlicher
hören werden.
Pasteur Secrétan schreibt:
«Als Sundar Singh irn Frühjahr 1920 seine erste Reise nach England
unternahm, erhielt die Schweizerische Gesellschaft für Mission in Indien ein
Schreiben von Rev. William Paton, dem Sekretär der Christlichen
Studentenbewegung und Organisator von Sundars Reise, mit der Anregung, den
Sadhu in die Schweiz einzuladen zur Ermutigung der Missionsfreunde. Sundar
Singh reiste (von England) auf den Kontinent und hielt sich kurze Zeit im
Missionsquartier in Paris auf, gelangte aber, abgehalten durch eine
Einladung in die Vereinigten Staaten, nicht in die Schweiz.
Die Nachricht von seiner
Anwesenheit auf dem Kontinent war bekannt geworden, und seine Abreise löste
große Enttäuschung aus. Mrs. Parkers Buch, das von Dr. Benoit aus Indien
mitgebracht und durch Ch. Rochedieu ins Französische übersetzt worden war,
hatte lebhaftes Interesse geweckt. Der Sadhu versprach, falls er Gelegenheit
habe, den Westen noch einmal zu besuchen, würde er die Missionsfreunde in
der Schweiz nicht vergessen.
Am Montag, den 27. Februar.
. . erwarteten in Lausanne die Leiter der Indienmission und mehrere Freunde
die Ankunft des Schnellzuges aus Genf. Tags Zuvor, am 26. Februar, war der
Sadhu, von Palästina kommend, 6 Uhr früh, in Marseille an Land gegangen. In
Marseille hatte Pasteur Hug zwei Versammlungen vorbereitet, die eine am
Vormittag in der Schweizer Kirche, die andere am Abend in der französischen
Eglise reformée. Der Sadhu reiste danach mit dem Nachtexpreß in die Schweiz
und wurde in Lausanne willkommen geheißen.
Es herrschte in Lausanne
eine gewisse Beunruhigung: Wie würde sich dieses evangelistische und
missionarische Unternehmen gestalten, wenn alle Ansprachen übersetzt werden
mußten ? Man hatte gehört, der Sadhu sei nicht leicht zu übersetzen, denn er
überlegte seine Worte in Hindustani, bevor er sie in der englischen Sprache
wiedergab. Vertrat dieser Apostel aus Indien nicht Ideen und Gedankengänge,
die unseren gewohnten Ansichten zuwiderlaufen, und würde dies die Hörer
nicht von seiner Botschaft ablenken?
Der Sadhu stieg aus dem Zug,
groß, schlank, einen Turban auf dem Kopf, mit langsamen Bewegungen, die
Augen halb geschlossen, wie ein Mann, der unbekannten Boden betritt und sich
von einem unsichtbaren Führer leiten läßt, um falsche Schritte zu vermeiden.
Man stellte sich vor, wechselte einen Willkommgruß und Segen; er lächelte
freundlich und zurückhaltend, und dabei blieb es. Der Sadhu wurde zu einem
Auto begleitet und nach Chailly gebracht, wo ihm das Haus von Dr. Benoit Zur
Verfügung stand. Während der Fahrt schenkte er weder der Stadt noch den
Bergen Aufmerksamkeit und wechselte kein Wort mit seinen Mitfahrern. Er
schien ganz in sich gekehrt, wir aber fühlten uns schon beruhigt.
Am Abend traf er mit einem
Komitee zusammen, das ihm den Plan für seine Reise durch die Schweiz für den
Monat März unterbreitete; eine Landkarte lag auf dem Tisch ausgebreitet. Der
Sadhu erfaßte alles in einem Augenblick, machte sich aber keine
Aufzeichnungen, sondern prägte sich die Daten und Orte ein. Er war mit dem
Plan einverstanden, der ihm in großen Zügen schon vor seiner Abreise in
Indien vorgelegt worden war, veranlaßte uns aber, einige Versammlungen
abzusagen, indem er bat: «Lassen Sie mich nicht öfter als einmal täglich
reden, außer an Sonntagen. Es ist nicht dasselbe wie eine Unterrichtsstunde
in der Schule; es wäre eine Routinesache, wie das Einwerfen von Briefen, und
würde keinen Segen bringen. Wir möchten aber doch, daß die Versammlungen
fruchtbar seien.» Dann beteten wir miteinander, und er betete wie wir in
großer Einfachheit, und nun waren wir ganz beruhigt und glücklich.»
( Aus ,Par Christ et pour
Christ" , Vorwort. )
Am 28. Februar, dem Tage
nach seiner Ankunft, fuhr der Sadhu in Begleitung von Pasteur Secretan und
Miß Goodwin, einer Stenotypistin, nach Biel. Pasteur Secretan suchte die
neugierigen und drängenden Leute soviel wie möglich von Sundar Singh
fernzuhalten.
Miß Goodwin schrieb über die
Ankunft in Biel: «Er trug einen dunkelgrauen Regenmantel über seinem
safrangelben Gewand, einen Turban aus demselben Material und gute, starke
Sandalen an den nackten Füßen. Es fiel mir auf, daß die Leute besonders auf
seine Füße achteten, denn es war ein ziemlich kalter Tag. ,Dieser arme Mann
muß gewiß frieren.' Aber ,dieser arme Mann' lächelte fortwährend, ohne viel
zu sagen, da er nicht Französisch verstand, und die guten Schweizer waren
ihres Englisch nicht ganz sicher und scheuten sich vor dem großen Sundar
Singh. Sein Lächeln aber benahm ihnen bald alle Scheu.» In Biel besichtigte
der Sadhu das Kinderspital; dann hielt er eine Ansprache in der Kirche.
Später fuhr er mit seiner Begleitung nach Tavannes, einem Zentrum der
Uhrenindustrie im Berner Jura. Miß Goodwill schreibt, daß «die Fabriken
um 3 Uhr geschlossen wurden, um den Arbeitern eine Möglichkeit zu geben, den
Sadhu zu hören. . . Es war interessant zu beobachten, wie die
Landbevölkerung darauf wartete, ihn zu sehen.
Manche waren von weit her zu
Fuß oder in Postautocars gekommen.» Pasteur Secretan berichtete, daß ein
Extrazug Hunderte aus Tramelan gebracht hatte; selbst die Güterwagen seien
besetzt gewesen.
Miß Goodwins Tagebuch
erzählt im weitern: «Ich mußte an die Volksmengen der Bibel denken,
die Jesus bedrängten, um Ihn predigen zu hören. Es erweckte ein
merkwürdiges Gefühl, diesem Mann aus dem Osten in seinem Safrangewand und
Turban nachzufolgen - ein Bild, geeignet für einen Künstler. Die kleine
Stadt mit ihren Fabriken im Tal, das Schulhaus auf dem Hügel und die Wälder
ringsum, auf den Straßen oder über die Felder herbeieilende Leute und der
Sadhu, der uns allen voranging. Wir betraten das Schulhaus und blieben auf
einem Balkon des ersten Stockwerkes stehen, vor uns und zu beiden Seiten ein
Meer von emporschauenden Gesichtern, auf allen Bäumen in der Nähe der Schule
saßen Knaben.
Die Ansprache dauerte etwa
eine Stunde, dann gingen wir in das Pfarrhaus zu einer Tasse Tee. Als ich
eintrat, fand ich den Sadhu auf einem Sofa sitzend, mit Madame Houriets
kleiner blondhaariger Tochter zwischen den Knien. Es war ein Bild, das
blonde Köpfchen so nahe dem schwarzbärtigen schönen Antlitz. «Sie fürchtet
sich nicht vor mir. Ich habe Kinder sehr lieb», sagte der Sadhu“ . . . Bald
gruppierten sich einige Freunde um das Sofa, denn wir alle wünschten mit dem
Sadhu zu sprechen. Ich stellte einige Fragen über die Vision, die er von
Christus gehabt. Er sagte uns, er habe die ganze Gestalt Christi gesehen,
sein langes Haar, sein Gewand, die Wunden an Händen und Füßen, die aber
nicht geblutet, sondern ,geleuchtet' hätten. Der Herr stand nicht auf der
Erde; sein Gesicht habe einen wunderbar liebevollen Ausdruck getragen.»
Am 3. März kam der Sadhu mit
Pfarrer Lauterburg und Miß Goodwin wieder nach Lausanne. Miß Goodwin
schrieb: «An diesem Abend war die Christuskirche buchstäblich vollgepackt
mit Engländern und Amerikanern und auch mit Schweizern. Der Text des Sadhu
war Johannes 8, 31. 32: ,Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit
wird euch frei machen.' Da kein Übersetzer da war, hatte ich einige Mühe,
jedes Wort nachzuschreiben, denn obwohl der liebe Sadhu zu Beginn einer
Ansprache ziemlich langsam redete, beschleunigte er in der Erregung
unweigerlich sein Tempo, so daß sich die Worte beinahe überstürzten und ich
kaum folgen konnte. Hier einige Aussprüche des Sadhu:
, Was ist Wahrheit ? Nicht
Doktrin oder Dogma, sondern Jesus Christus selbst.' ,Einige Freunde fragten
mich, was ich von der westlichen Zivilisation halte. Ich erklärte ihnen, daß
ich keine wirkliche Zivilisation sähe, sondern kreatürliches Leben. Die
Menschen kennen Christus nicht, sie leben nicht mit Ihm. Sie haben gelernt
sich zu kleiden, zu essen und sich korrekt zu benehmen. Aber sie gleichen
dressierten Tieren.' ,Menschen, die Christus gesehen, haben keine Mühe,
an Wunder zu glauben. Das große Wunder ist: Leben zu empfangen, die Wahrheit
zu erkennen, den Himmel auf Erden zu finden.' , Wir sind so beschäftigt,
daß wir keine Zeit haben zu beten.' Zum Bedauern vieler dauerte die
Ansprache nur 35 Minuten.
Danach wurde ein privater
Empfang abgehalten. Unter den Anwesenden Mr. A. J. Appasamy, ein junger
Inder aus Südindien, der Canon Streeter behilflich gewesen, sein Buch ,Der
Sadhu' zu verfassen.»
Im Laufe der folgenden Tage
sprach Sundar Singh in der Kathedrale und mehreren Kirchen von Lausanne. Wir
möchten dem Bericht von Miß Goodwin über Sundar Singhs Versammlungen eine
Aufzeichnung von Pasteur Secretan über die Begegnung des Sadhu mit
Geistlichen und Professoren beifügen, sowie ihr Urteil über ihn:
«Es sei hier festgehalten,
mit welcher Liebe er von allen Pfarrern und Professoren empfangen wurde,
selbst von jenen, die eine andere Auffassung vom Christentum hatten; gewisse
Aussagen des Sadhu hätten sie bekümmern können, sie hätten erstaunt sein
können über sein Festhalten an gewissen Punkten, wie z. B. an den Wundern
und der Göttlichkeit Jesu Christi; aber sie alle erkannten in ihm einen
Bruder und echten Jünger Christi, dem Gott bestimmte Gnadengaben und
Erfahrungen geschenkt hatte, die uns nachdenklich stimmen und nicht ohne
Nachprüfung beiseite geschoben werden dürfen. Auf einer besonderen Tagung in
Lausanne war dieser Eindruck unter den Hörern, die mit kirchlicher Arbeit zu
tun hatten, deutlich spürbar. Es ist unsere Pflicht, unser religiöses Leben
zu bereichern durch Erfahrungen von Christen aus anderer Umgebung.
Es war erstaunlich, diesen
noch jungen, aus dem Sikhstum bekehrten Christen zu sehen, völlig geblendet
vom Licht des Evangeliums, inmitten würdiger, ergrauter Doktoren, deren
Fragen er mit einer Unmittelbarkeit, mit liebevoller Freundlichkeit und
Freiheit beantwortete, die ihre Sympathie gewann.
Leider verhinderten
Zeitmangel, Schwierigkeiten der Sprache und die übertriebene Begeisterung
des Publikums die Pfarrer und Professoren, noch tiefere Gespräche mit dem
Sadhu zu führen.» («Par
Christ et pour Christ ». )
Am 9. März fuhren die
Freunde nach Genf weiter. Miß Goodwin berichtet: «Bevor wir aus Lausanne
abfuhren, wurde dem Sadhu eine sehr schöne goldene ,Zenith-Uhr übergeben von
jungen Leuten, die in der Missionsarbeit stehen. Sie trug seine Initialen
S.S.S. und eine Widmung. Wir bewunderten sie, aber der Sadhu äußerte seine
Freude sehr ruhig und bemerkte: ,Ich werde sie in Indien nicht brauchen.
Hier wird sie nützlich sein.' In Genf fand die Versammlung in der ,Salle de
la Reformation' statt, und der Schneefall hielt die Leute nicht ab, das
Lokal bis zum letzten Platz zu füllen.» Bei der Abreise des Sadhu von Genf
dankten ihm 42 junge Leute mit einem Brief, den sie alle unterschrieben
hatten.
In Neuchatel war eine
Abendversammlung vorbereitet worden. Miß Goodwin schrieb: «Sie sollte in der
Kirche abgehalten werden, aber es waren so viele Leute vom Lande gekommen,
daß man beschloß, sie vor dem College im Freien abzuhalten.
Der Sadhu zieht es vor, im
Freien zu sprechen, er macht sich nichts aus Gebäuden, unangenehm sind ihm
besonders Kirchen mit vielen Säulen, , weil sie zwischen mich und meine
Hörer kommen'.
Man stellte ihm die Frage: ,
Würden Sie sich weigern, in einer katholischen Kirche zu sprechen ?' - ,Gewiß
nicht, aber dort sind so viele Bilder, daß für mich kein Platz wäre.' Wir
hatten Mühe, die steinerne Plattform vor dem College zu erreichen. Wir
erblickten eine Menge von nahezu 5000 aufwärtsgerichteten Gesichtern, und es
war eine Freude, sie singen zu hören. Ein kleines Kind vor mir bemühte sich
die meiste Zeit, nach dem Gewand des Sadhu zu haschen. Der heilige Mann war
an jenem Abend außerordentlich gut disponiert und schien durch den Zudrang
nicht belästigt zu sein. Sein Text war Matth. 4, 17: , Tut Buße, das
Himmelreich ist nahe herbeigekommen.' 14. März. . . Wieder waren wir eine
große Gesellschaft beim Lunch. Die Gäste waren meist junge Leute, die sich
scheuten, Fragen zu stellen. Ich dachte, sie würden gern etwas vom
wunderbaren alten Einsiedler im Himalaya hören, vom Maharischi von Kailasch,
und gab die Frage an Mr. de Rougemont weiter.
Er antwortete, er glaube
nicht, daß der Sadhu darauf eingehen werde, „fragen Sie ihn selbst', Das tat
ich und erhielt die Antwort: ,Es wäre sehr interessant, aber es brächte
keinen Nutzen.' Ich versuchte ihn zu überreden, den Jungen etwas zu
erzählen.
Aber vergeblich. Er war
nicht dafür, bloße Neugier zu befriedigen. Das tat er nie. Wann immer er
glaubte, Fragen würden aus Neugier gestellt, beantwortete er sie nicht. Er
gab stets deutlich zu verstehen, daß er gekommen war, um eine Botschaft vom
lebendigen Christus zu bringen, nicht aber um unnütze Fragen zu
beantworten.»
«ln Basel war der
veranstaltende Pfarrer sehr belästigt worden durch Leute, die
Eintrittskarten zur Versammlung des Sadhu verlangten, und eine verärgerte
alte Dame hatte gesagt: ,Im Himmel wird es keine geschlossenen Versammlungen
geben.' Der Sadhu bemerkte hiezu sofort: ,Im Himmel wird es keine zu kleinen
Säle geben.'» Die nächste Stadt war Zürich. Sundar Singh sprach in St. Peter
über den Text 1. Kor.1, 23: «Wir predigen den gekreuzigten Christus, den
Juden ein Ärgernis, den Griechen eine Torheit.» Während er noch sprach,
wurde ihm ein Zettel zugesteckt mit der Mitteilung, es sei Zeit für die
nächste Versammlung, es hätte sich schon eine wartende Menge eingefunden. Es
war 5 Uhr, als die Zuhörer die Kirche verließen, worauf die Wartenden
hereinströmten; es dauerte eine halbe Stunde, bis die Kirche leer und wieder
besetzt war .
Um 5.30 Uhr begann der Sadhu
seine zweite Predigt. Er war nicht auf der Höhe, da er keine Zeit gehabt zu
Gebet und Vorbereitung. Auch der Übersetzer, Pfr. Schwab, war müde und
nervös. Um 6.50 Uhr schloß der Sadhu, die zweite Gruppe hatte ihn somit
länger zu hören bekommen als die erste. Beide Versammlungen zählten an die
2500 Leute.
In der Bahn nach
Schaffhausen am 21. März betrat ein Herr unser Abteil und überreichte Sundar
Singh einen schönen Strauß roter und weißer Nelken. Er nahm sie mit einem
Lächeln entgegen, sagte „Thank you" und - legte sie neben sich auf die Bank.
Ich rettete die armen Blumen und legte sie in das Gepäcknetz; später stellte
sie jemand in Wasser. Unterwegs übergab Pfr. Schwab dem Sadhu viele Briefe,
die meistens deutsch geschrieben waren, weshalb er sie zur Übersetzung
zurückerhielt. Hin und wieder beantwortete Sundar Singh die englischen
Briefe und sagte Pfr. Schwab, was er auf die deutschen Briefe antworten
solle; besonders wenn sie lang waren.» Wir erfuhren von Pasteur Secretan,
daß Pfr. Pfister in Zürich seine Kritik widerrufen habe, nachdem er den
Sadhu gehört und gesehen hatte. Pfr. Pfister hatte ihn in einer Schrift
heftig angegriffen und erklärt, sein Leben sei eine Rückkehr zum Asketentum
des Mittelalters, er sei ein Pietist und Wundermann. Nun hatte er in einem
persönlichen Brief an Pfr.
Schlatter, den Präsidenten
des Zürcher Hilfsvereins der Kanarischen Mission, bekannt: ,Die lebendige
Frömmigkeit und volkstümliche Beredsamkeit dieses edlen Mannes haben mir
einen tiefen Eindruck gemacht. Er hat mich sogar tiefer beeindruckt, als
Schärers Buch über ihn mich hätte vermuten lassen.'
(,Par Christ et pour Christ'. )
In Bern sprach der
Sadhu über Matth. 4, 19: ,Folget mir nach, ich will euch zu Menschenfischern
machen.' Er sagte:
«Christus wählte einfache
Fischer, weil Er eine einfache Botschaft hatte für die Welt, keine
Philosophie. Die Welt hatte genug der Lehren und Philosophen; Christus
wollte nur die Botschaft der Erlösung bringen. Es ist ein großes Vorrecht,
in dieser Welt Menschen zu begegnen, die im Besitz der wirklichen Botschaft
sind, die an den lebendigen Christus glauben und nicht an einen, der tot und
dahingegangen ist. Gleichzeitig begegne ich auch Menschen, die von keiner
Botschaft wissen, für die Christus tot und abgetan ist. Ich will keine Zeit
mit ihnen verlieren, sondern von denen reden, die etwas für unsern Herrn
getan haben. Und hier sehe ich leider noch eine
andere Seite. Gewiß, es wird
gute Arbeit geleistet, aber sie sollte von Männern und Frauen getan werden.
Nicht nur Männer können Großes leisten; auch Frauen können gute Arbeit
leisten und haben es auch getan. In alten Zeiten verrichteten Deborah und
Esther große Taten. Die erste Nachricht von der frohen Botschaft wurde durch
eine Frau vermittelt. Die Jünger waren ohne Hoffnung, aber eine Frau
überbrachte ihnen die wichtigste und wesentlichste Botschaft. An einigen
Orten sah ich, daß der Geist der Frauen sehr bedrückt war. Wir müssen sie
ermutigen, dann wird ihr Geist erstarken. Ein Wagen mit nur einem Rad ist
unbrauchbar, er muß deren zwei haben. Darum müssen Männer und Frauen
miteinander arbeiten. Vom weltlichen Gesichtspunkt aus sind sie männlich und
weiblich, aber vom geistigen Gesichtspunkt aus besteht kein Unterschied, es
gibt nur eine Art von Seele. . .» Pasteur Secretan erzählt: «Als wir den
Sadhu in Bern fragten, wie er sich fühle, gestand er: ,Ich bin sehr müde..
Das war leicht verständlich, denn eine solche Reise, die vielleicht in den
Annalen der Evangelisation und Erweckung in der Schweiz einmalig ist, kann
nicht ohne intensive Anstrengung durchgeführt werden, und die Arbeitsweise
des Sadhu machte sie noch ermüdender. Er schrieb nichts auf, sondern hielt
sich an eine innere Vorbereitung, die er durch Gebet und Meditation
beständig erneuerte. Jeden Tag sprach er über einen neuen Text, den er
sorgfältig in einer neuen Ansprache entwickelte. Fanden sich darin auch
immer wieder dieselben dominierenden Gedanken und illustrierenden Beispiele,
so war doch die Ansprache weder etwas auswendig Gelerntes noch eine
Wiederholung. Sie entsprang dem Innenleben des Sadhu, seinem Umgang mit
Gott. Das erklärt zweifellos ihre Wirkung auf die Hörer, wobei der Mangel an
Redegewandtheit keinerlei Abbruch tat.»
(,Par Christ et pour Christ'.)
Pfarrer Schwab, der dem
Sadhu in der Schweiz und in Deutschland als Dolmetscher diente, sandte mir
einige seiner Erinnerungen. Er berichtet:
«Er sprach immer weniger von
sich, immer mehr von Christus. Ich hatte in diesem Zusammenhang ein
unvergeßliches Erlebnis. Wir fuhren mit der Bahn an einen entfernten Ort zu
einer Versammlung, und der dortige Pfarrer reiste mit uns. Er sagte dem
Sadhu, daß zur Versammlung dieses Abends eine Dame kommen werde, um mit ihm
zu sprechen, denn sie könne keinen Frieden finden, obwohl sie viele berühmte
Gottesdiener aufgesucht habe. Der Sadhu schwieg eine Weile und schien in
Gedanken versunken. Dann wandte er sich an den Pfarrer und bat ihn, der Dame
nicht vorgestellt zu werden. Der Pfarrer war betroffen, beinahe beleidigt,
daß er eine solche Seelsorge ablehnte, aber er schwieg. Der Sadhu fühlte
jedoch mit seiner feinen Intuition, daß seine Haltung nicht gebilligt wurde.
Er erklärte deshalb: «Lieber Pfarrer, diese Dame muß etwas lernen, das sie
nicht lernen würde, wenn ich sie empfinge. Sie muß lernen, daß Christus ihr
viel näher ist als irgend ein Mensch.» ( Aus einem Brief vom 3. Mai 1950. )
Nach dem Besuch Sundar Singhs in der Schweiz faßte Pfr. Lauterburg, der
zeitweilig seine Ansprachen übersetzt hatte, seine Eindrücke wie folgt
zusammen:
«In den vergangenen Wochen
reiste der indische Apostel Sundar Singh durch die Schweiz und verkündete in
Stadt und Dorf das Geheimnis eines freudvollen Lebens. Überall kamen die
Menschen in Scharen herbei, um seine lebendigen Worte zu hören. Viele mußten
vor den Kirchentüren abgewiesen werden. Eines Nachmittags in Lausanne mußte
er die Kirche verlassen und im Freien sprechen. Was war es, das die Leute zu
ihm hinzog ? War es nur eine Sensation, das heilige gelbe Gewand eines Sadhu,
ein heimatloser, armer, umherwandernder Prediger? War es nur, weil sie den
Mann sehen wollten, von dessen Wanderungen in Indien und im dunklen Tibet,
von dessen Prüfungen und Bewahrungen sie merkwürdige Berichte gelesen hatten
? Wie oft geschieht es doch, daß wir enttäuscht werden bei der näheren
Begegnung mit einem machtvollen Redner. . . Aber Sundar Singh ist in seiner
einfachen, liebevollen Art im persönlichen Kontakt noch eindrucksvoller als
in seinen Ansprachen. Wenn er am Morgen nach zweistündigem Gebet und
Meditation über einer Bibelstelle zum Frühstück kommt, fühlt man, wie etwas
von seinem Frieden und seiner Güte uns anrührt und Hilfe leistet für den
kommenden Tag.
Was ist nun die Botschaft
Sundar Singhs? Sie kann in ein Gebot zusammengefaßt werden: ,Mehr Gebet'.
Mit diesem Wort antwortete er auf die Fragen einiger Pfarrer: was sie tun
sollten, um ihre Arbeit fruchtbringender zu gestalten. ,Seid Männer des
Gebets, und alles andere - innerer Friede, Erkenntnis der täglichen
Pflichten, aufopfernde Liebe und Dienst an den Nachbarn - wird euch von
selbst zufallen. Verbringt jeden Morgen einige Zeit in stiller Meditation
über Gottes Wort und in Gebet, und euer Leben wird sich wunderbar wandeln.'
Diese Verheißung findet sich in allen Ansprachen dieses Mannes, dessen
eigenes Leben wie ein ununterbrochenes Gebet erscheint. Was hätte es uns
genützt, wenn wir von seinen Lippen kluge Ansprachen über das indische Leben
oder über die Lösung politischer und sozialer Fragen vernommen hätten, die
wir Westler nicht zu regeln vermögen? Für solche Dinge hätte sich die Mühe
seiner langen Reise nicht gelohnt. Sie war aber der Mühe wert, um uns in
einfachen, bewegenden Worten zu sagen: Ohne täglichen Umgang mit Gott gibt
es keine Frömmigkeit, kein Christentum, kein wirkliches Leben.» (Emmenthaler
Bote, März 1922.) Das reiche Material, das wir über Sundar Singhs Arbeit in
der Schweiz besitzen, zeigt uns, daß sich im Inhalt seiner Botschaft im
Laufe der Jahre eine Veränderung vollzog. Während seines ersten Besuches in
England war er nicht so kritisch gewesen. Aber nun stand er den Europäern
und ihren Gewohnheiten sehr kritisch gegenüber, obwohl er immer feststellte,
daß es unter ihnen viele echte Christen gäbe, bei denen er sich heimisch
fühle. Es läßt sich schwer sagen, inwieweit seine geschwächte Gesundheit,
die sich damals bemerkbar machte, für die äußerst strengen Ansichten
verantwortlich war, die er über die Christenheit in Europa äußerte. Es kann
auch der Tatsache zugeschrieben werden, daß er nun, da er Europa intimer
kennen gelernt hatte, die Mängel deutlicher erkannte. Seine hauptsächlichste
Klage war, daß die Europäer, obwohl sie Namenchristen waren, nicht viel Zeit
in der Gemeinschaft mit Christus im Gebet verbrachten.
Bei seinem zweiten Besuch in
Europa sprach er anhaltender und eindrücklicher, als er bei seinem ersten
Besuch getan, über das Gebet. Dies beweist, daß ihm klar geworden: der
tiefgehendste Fehler der europäischen Christenheit ist der Mangel an Gebet.
Er rief nicht zu Selbstaufopferung oder Entsagung auf, obwohl er selbst das
Leben eines Sadhu führte, in der Abhängigkeit von Gott und den Seinen, sogar
betreffs der einfachsten Lebensbedürfnisse. Er rief die Christen Europas
nicht auf zu Missionsarbeit in verbotenen Ländern wie Tibet mit all seinen
Abenteuern und Gefahren, obwohl er selbst unaufhörlich bemüht war, dort das
Evangelium zu verkünden, trotz Verfolgung und Leiden. Auch suchte er niemand
in der ihm eigenen nachdrücklichen Weise zu überreden, sich mit Gottes Wort
zu beschäftigen, obwohl er selbst sich täglich daran erquickte und seine
geistige Nahrung und Kraft daraus gewann.
Aber wieder und wieder wies
er auf die lebenswichtige Notwendigkeit des Gebets hin, auf diese Verbindung
mit dem lebendigen Christus. Es war ihm klar, daß dies das dringendste
Bedürfnis der westlichen Christenheit sei, und hier konnte er seinen
wertvollsten Beitrag leisten. Einige Hörer seiner Ansprachen in der Schweiz
hatten das Buch ,Der Sadhu' von Canon Streeter und mir gelesen und wußten um
die mystischen Erfahrungen, die ihn veranlaßten, mit solchem Ernst und mit
so großer Eindringlichkeit über das Gebet zu sprechen. Die meisten Leute
wußten jedoch nichts von diesen mystischen Erlebnissen, und es war dem Sadhu
durchaus klar, daß nicht jedermann diese Erfahrungen machen müsse.
Als er in Genf gefragt
wurde, was er von Christen halte, die keine mystischen Erlebnisse hätten
noch jemals haben würden, entgegnete er: «Es ist nicht notwendig, daß
jedermann Christus mit diesen seinen Augen sieht. Christus offenbart sich
uns je nach unsern Bedürfnissen. Nicht alle haben dieselben Schwierigkeiten.
Wichtig über alles ist: Christus will sich in unsern Seelen offenbaren. Es
liegt ihm nicht daran, unsere Augen zu sättigen; aber unsere Seelen will er
sättigen. Deshalb sage ich wieder und wieder, daß er sich durch das Gebet
unseren Seelen offenbaren wird. . .»
Für die meisten Christen
bedeutet Beten ein Bitten für sich und für andere um weltliche oder geistige
Segnungen. Es war Sundar Singhs unwandelbarer Glaube, daß das Gebet weit
mehr ist als bloßes Bitten. Er erklärte einigen Freunden in der Schweiz, daß
er nach langem Nachdenken zum Ergebnis gekommen sei, daß andere Menschen
nicht für Kranke beten sollten, sondern die Kranken selbst müßten Gott
anrufen; zu ihrem Guten würden sie dann erkennen, daß Gott sie durch ihre
Krankheit näher zu sich ziehen wolle.
Der Sadhu stellte bei der
westlichen Christenheit einen mitleiderregenden Mangel an Gebetsgeist, im
Sinne der Gemeinschaft mit dem lebendigen Christus, fest. Mystisches Gebet
war ihm etwas Natürliches und Vertrautes. Von Jugend auf hatte er
Entrückungen und Gesichte erlebt. Er konnte stundenlang ohne Ermüdung in
Gebet versinken. Gott hatte ihn verschwenderisch mit solchen Gaben bedacht.
Für viele Christen aber ist sogar das Gebet betreffs weltlicher Dinge, an
denen sie lebhaft interessiert sind, nur im äußersten Notfall eine letzte
Zuflucht. Für die meisten ist Beten eine Pflicht, die sie einhalten in der
Hoffnung auf eine Belohnung in der Zukunft. In Europa besitzt das
Christentum der Tat eine starke .Anziehungskraft. Aber Sundar Singhs
unermüdliche Belehrung über den Wert des Gebets, insbesondere als Verbindung
mit dem lebendigen Christus, beruht auf seinem klaren Wissen um die
Versuchungen und Schwächen der westlichen Christenheit und sollten daher in
ihrem vollen Wert gewürdigt werden.
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Nun aber lassen wir Sadhu
Sundar Singh selber sprechen, respektive schreiben!
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